Thema:
Die Zwerge flat
Autor: Sockenpapst
Datum:08.12.17 14:38
Antwort auf:Durchgezockt No. 35 von wantan

Puh, das war ohne jede Übertreibung eines der seltsamsten Videospielerlebnisse meines Lebens.

"Die Zwerge" beruht auf der gleichnamigen Romanreihe von M. Heitz und versoftet wohl weitgehend 1 zu 1 das erste Buch. Da ich die Vorlage nicht kenne, kann ich nichts zur Qualität der Umsetzung als solche sagen, dafür war die Story halt neu und "überraschend" für mich. Diese fand ich dann aber ehrlich gesagt erschreckend belanglos (und gegen Ende zudem offensichtlich gehetzt erzählt), und die brontalen Herr der Ringe-Anleihen in Geschichte und Welt lassen das Ganze arg beliebig wirken. Wie gesagt, jetzt nur ausgehend vom Spiel.

Das ist insoweit schade, als dass sich die Entwickler massiv auf die Geschichte fokussieren und das Gameplay "etwas" vernachlässigen; im Prinzip gibt es zwei spielerische Elemente:

Zum einen bewegt man sich auf einer Oberweltkarte - nicht frei, sondern Zug um Zug und in festen Bahnen - zwischen den einzelnen Zielen (meist durch Fragezeichen gekennzeichnet) hin und her. Das klingt dröge, ist aber, obgleich mega-simpel, tatsächlich spaßig umgesetzt worden und der mit Abstand beste Aspekt des Spiels. Denn fast jeder Schritt wird von einer (im Englischen) extrem angenehm synchronisierten Erzählerin kommentiert (ALLE Sprecher sind mindestens gut), und auch ganze Handlungsfäden werden auf diese Art direkt auf der Oberwelt abgefrühstückt, wobei der Spieler meist kleinere Entscheidungen zu fällen hat. Dies geschieht nicht sarkastisch wie bei "The Cave", sondern in einem ruhigen, leicht märchenhaften Stil. Ist wirklich gut gemacht.

Zum anderen gibt es die Kämpfe, und... da ist wirklich gar nichts gut gemacht. Es handelt sich ausnahmslos um Massenschlachten, in denen Orkhorden auf die 4 Helden einstürmen. Letztere greifen automatisch an, man hat aber nur eine Chance, wenn man zusätzlich Energie verbrauchende Superangriffe einsetzt. Das Spiel geht wohl davon aus, dass man nun seine einzelnen Figuren im Pausemodus auf der Karte platziert und die jeweils sinnvollste Fähigkeit ausführen lässt.
LOL! De facto funktioniert das Spiel so überhaupt nicht, da die Protagonisten ununterbrochen von diversen Orks umzingelt sind, also nicht frei platziert werden können, und die allermeisten Angriffe Flächenschaden bewirken, der auch die eigenen Figuren zerlabskaust. Friendly Fire, the Game! Hinzu kommt eine der schlechtesten Kollisionsabfragen, die ich seit langer langer Zeit gesehen habe, konsequenterweise kombiniert mit einem nicht vorhandenen optischen wie akustischen Trefferfeedback. In der Realität fuchelt man also wild in der Luft rum, bis die Gegener in 2-Phasen-Animationen umfallen und den Weg zum Ausgang freimachen. (Bürosklaven erkennen die typischen Abläufe eines Freitag-Nachmittages.) Immer und immer wieder.

Dies alles wird komplettiert durch eine Grafik, die ein fähiger Entwickler problemlos - und das ist keine Übertreibung - auf einer 360 stemmen könnte. Dummerweise ruckelt die Scheisse hier fett. Es zuckelt und stockt auf der normalen X1 so krass, dass ich entnervt abgebrochen hatte, das geht einfach gar nicht klar. Selbst auf der X gibt es öfter mal Pudding, von daher würde ich einfach mal pauschal von Konsolenfassungen des Spiels abraten, wenn ein halbwegs fähiger PC zur Verfügung steht.

Ansonsten merkt man das niedrige Budget an jeder Ecke: Nette, aber sich ständig wiederholende Musik, häufige Ladezeiten, kleinere und größere Bugs. Die Charakterentwicklung wäre zudem mit "reduziert" noch arg euphemistisch beschrieben, das heißt konkret, man wähl bei einem Levelaufstieg eine von zwei Fähigkeiten, und rüstet pro Figur zusätzlich einen aktivierbaren Gegenstand aus (benutzen tut man den nutzlosen Krempel nicht). Das war es. Wobei: Nach 10 Stunden war ich - inklusive der meisten Nebenquests - durch. Das ist auch mal ne Ansage für ein RPG.

Nüchtern kann man "Die Zwerge" eigentlich niemanden empfehlen:
Technisch katastrophal und mit einem der schlechtesten Kampfsysteme aller Zeiten gesegnet, zieht es seinen bescheidenen Reiz komplett aus der belangslosen Haupt- und idR sehr netten Nebenstorys und dem charmanten Einsatz eines auktorialen Erzählers.

Und ganz seltsamerweise hat genau dieser spröde Charme mir zum einmaligen Durchspielen ohne Reue gereicht. Sinnbildlich für das Gesamterlebnis steht der Abspann des Spiels; in diesem laufen minutenlang schlecht animierte Orks ruckelnd von links nach rechts über den Schirm, während die Entwicklernamen kaum lesbar in Textafeln über ihnen aufploppen. Das ist billig, plump; mitleiderregend schlecht gemacht. Aber irgendwie auch sympathisch.


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