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Autor: | token | ||
Datum: | 18.06.25 15:20 | ||
Antwort auf: | Re:wait what now? von Jassi | ||
>FÜr mich ist Ellies Fall kein Trolley-Problem. [...] Da hast du natürlich Recht. Ich finde es dennoch nicht unpassend wenn man sich mit der Grundsatzproblematik des "opferns" beschäftigen möchte, da das Gedankenexperiment sehr kompakt und weit verbreitet ist, entsprechend viele Detailvariationen mitbringt, und eben sowas Studien mit Statistiken offeriert. Grundsätzlich reicht dieses Motiv ja Urzeiten zurück und über sehr viele Kulturen hinweg, etwa die Opfergabe an die Götter for the greater good wie die gute Ernte oder um bestehendes Unheil abzuwenden. Und dann existiert es ebenfalls in unzähligen Varianten, speziell in dramatischen Erzählungen gerne genommen die Selbstopferung, sehr gerne genommen mit dem shady Wichser der aber kein Schwein ist und dann wenn die Kacke dampft mit "Lauft, ich halte sie auf!" seinen shining moment hat und sich gedankenverloren erstmal schelmisch lächelnd die Zigarre gönnt bevor er sich ins Kamikazekleid wirft :) Dieser Kernkonflikt ist irgendwie stetig in der ein oder anderen Form präsent und auch realpolitisch hochrelevant, insbesondere bei militärischen Manövern. Ein Extremfall ist da sicherlich der Atomwaffeneinsatz in Japan während des zweiten Weltkriegs. Okay, ich drifte ab... >Was viele gegen Joel aufgebracht hat, war eine harte utilitaristische Denkweise. Zehn Füchse stimmen mit der Gans ab was es zu essen gibt. Sklaverei ist also ethisch okay, die Fußball-WM in Katar zu schauen genau so. Sind ja nur ein paar tausend für unseren Spass gestorben. Hauptsache die Mehrheit profitiert davon! > >Dem obigen Konsequentialismus steht da die deontologische Ethik entgegen, die erstmal auf die Auswirkungen pfeift und ihr Handeln erstmal auf Pflichten oder Regeln basiert. Ist es es okay unschuldiges Leben zu opfern? (Aber auch hier kommt man durchaus in die Bredouille, wenn man z.B. niemals lügen sollte. Jemand versteckt sich vor einem. plötzlich kommt der potentielle Mörder an und fragt einen wo das Opfer sei. Tja sorry, aber "Rules are rules". > Neben diesem von dir benannten Konflikt dass vom Kontext losgelöste Prinzipientreue auch einen Widerspruch zum eigentlichen Prinzip erzeugen kann, würde ich auch noch sagen, dass die Figuren in TLoU auch nicht klar einem Lager zugeordnet werden können in meinen Augen. Exemplarisch mal Marlene, sie trifft da doch persönliche Gewichtungen. Im Hinblick auf Ellie ist die Opferbereitschaft da, im Hinblick auf Joel jedoch nicht. Warum sie so entscheidet macht sie im Gespräch mit Joel transparent. Genau diese Entscheidung wird ihr dann auch zum Verhängnis, denn Joel macht es genau anders herum und bringt Marlene um. Und das ist für mich der Dreh- und Angelpunkt warum es mir nicht möglich ist Joel freizusprechen. Vor allem diese Szene. Blenden wir das KH aus, weil das ist Chaos, hier kann ich noch diese Getriebenheit der Figur relativierend einführen, anführen dass hier eigentlich keine wirklich gezielte Aktion erfolgt, sondern eine reaktive unter lebensbedrohlichen Umständen. Geschenkt. Nicht bei Marlene. Joel ist ruhig. Bedacht. Es gibt ein Gespräch. Joel wägt ab und trifft ganz bewusst und gezielt eine Entscheidung. Eine Entscheidung die er durchaus anders treffen kann... >Somit würde Ellies Tod nur ein sorgenfreies Leben garantieren, "mehr nicht". Keine einzige Person müsste wegen dieser Entscheidung direkt sterben. Da ist beim Trolley-Problem komplett anders gelagert. Ich hab mir hier mal erlaubt mit der Zitatreihenfolge zu spielen um gleich spitzfindig zu werden. >Naja, dass die Fireflies Ellei jagen würden liegt wohl auf der Hand. Du meinst also der Mord ermöglicht Joel und Ellie ein "sorgenfreies Leben"? ;) >[https://www.youtube.com/watch?v=q1DDDHjgx_E&t=96s] > >I beg to differ. ;D Natürlich basiert diese Einschätzung darauf wie ich die Figuren erlebe, also eine Mischung aus Mutmaßung und Projektion ;) Ich sehe in beiden "Survivor" die in Extremsituation wo andere zusammenklappen zu hochfunktionalen Tieren mutieren und das tun was getan werden muss. In meinen Augen wäre Joel aber kaum noch in der Lage den Verlust von Ellie zu verkraften, das würde ihn nach meinem Gefühl komplett brechen. Ellie käme in meinen Augen hingegen auch ohne Joel klar. Natürlich möchte Joel Ellie beschützen. Und er kann sie nur beschützen wenn sie ihn nicht aus ihrem Leben zimmert. Wir könnten also annehmen Joel gestaltet die Lüge so wie er sie gestaltet nicht für sich, sondern für Ellie. I get it. But i disagree. Und natürlich ist das Mutmaßung. Aber das ist mein Gefühl: Joel weiß dass Ellie ihn nicht braucht, auch ohne ihn klar käme, auch ohne ihn ihren Weg finden würde. Spätestens als sie es ist die seinen Knackarsch rettet müsste er imo genau das erkannt haben. Was er jedoch nicht weiß, wo er sich zumindest nicht sicher ist, ist ob sie ihm was er getan hat verzeihen kann. Und allein die Möglichkeit dass sie das nicht könnte kann er nicht ertragen. Er lügt natürlich auch für sie, aber das "wie" er lügt, das macht er in meinen Augen für sich! Und ich weiß noch was du im Serienthread geschrieben hast, welches Störgefühl du damit hattest dass Ellie in der Folge Joel Egoismus vorgeworfen hat. Und ich teile dieses Störgefühl kein Stück. Für mich ist das "you got a point girl". So sehe ich das eben auch wenn ich versuche in Ellies Perspektive zu schlüpfen. Die beiden in ihrem Leben wichtigsten Personen, Marlene als Mutterersatz und Joel als Vaterersatz, belügen sie. Sind nicht ehrlich mit ihr. Nicht um Ellies Interessen zu schützen sondern vorrangig um ihre eigenen Interessen zu schützen. Ich käme mir da auch komplett verarscht vor, einerseits über diesen Vertrauensbruch, andererseits darüber wie wenig man mir zutraut. Denn da sehe ich auch die eigentliche Tragödie. Wäre Marlene ehrlich gewesen, Ellie hätte in meinen Augen klar die Entscheidung getroffen sich zu opfern und da hätte auch Joel nix mehr zu kamellen gehabt. Und wäre Joel ehrlich gewesen, hätte ihm Ellie auch verziehen, es hätte Zeit gebraucht, aber sie hätte ihm verziehen. So meine Einschätzung. >Mh, mir scheint an mancher Stelle, dass du tw. eher den Archetypus des Tricksters beschreibst, was ich sehr begrüße. Gerade er und auch das klassiche Dilemma sind bestes Glutmat, um 'ner Story die richtige, weil unvorhersehbare, Würze zu verleihen. Ach, ich mag einfach keine Schubladen, diese feinteiligen Kategorisierungen stören mich ja schon bei Musikgenres. Ich würde einfach sagen, ich mag Figuren die mich herausfordern, dazu gehören dann natürlich _auch_ Trickster. Angefixt wurde ich sicher durch Faust im gelben Reclam, wo ich zum ersten mal dachte, oh, das ist eigentlich ziemlich geil was da abgeht, wenn ich auch noch nicht die Reife hatte um zu verstehen _wie_ geil das ist. Und als ich dann die nötige Reife hatte um zumindest halbwegs was zu raffen, kam Kurtz und hat mein kleines selbstzufriedenes Ethik-Küken in den Schredder geworfen. Diese Szene hat mich unglaublich geprägt und seinerzeit über Wochen beschäftigt. Wie das sein kann dass alles in dir schreit "Falsch! Schlimm! Böse!" aber man es nicht mehr schafft dieser bestechenden Logik mit stichhaltigen Argumenten zu begegnen. War für mich im übertragenen Sinne wirklich ein wenig dieser Moment wo das naive Kind in dir ein Stück weit stirbt und du merkst dass es Zeit wird erwachsen zu werden ;) |
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