Thema:
Alle Mal lesen! NT flat
Autor: Random_H
Datum:01.07.25 14:35
Antwort auf:Re:Also tl:dr "Nach unten treten, nach oben buckeln" von Atlan

>Du verwechselt Marktwirtschaft mit Kapitalismus bzw. setzt sie fälschlicherweise gleich.
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>Handel und Marktwirtschaften gibt es seit Jahrtausenden. Menschen stellen bei sich zuhause mit ihren eigenen Händen unterschiedliche Dinge her und tauschen sie dann untereinander, in größeren Gesellschaften dann auch mit einer standardisierten Währung als zwischengeschaltetes Tauschmittel. Jemand backt Brot oder stellt Leder her, verkauft es auf dem Markt und lässt sich dafür einem Wams schneidern oder seinem Pferd Hufeisen anpassen. Etc. pp. Das hat aber nichts mit Kapitalismus zu tun.
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>Kapitalismus gibt es hingegen erst seit rund 250 Jahren und mit Entstehung der Industrialisierung. Dabei gibt es eine kleine Klasse an Kapitalisten (meist ehemalige Adelige oder deren Nachfahren mit entsprechendem Einfluss), die sich im Rahmen der "ursprünglichen Akkumulation" zuvor gewaltsam alles angeeignet haben (Wälder, Felder), wo bis dahin die normalen Menschen gearbeitet und wovon sie sich selbst versorgt hatten. Diese Menschen sind nun gezwungen, zum Überleben in die Städte zu ziehen (sonst Zuchthaus/Arbeitshaus) und dort in den Fabriken dieser neuen Kapitalisten "entfremdet" zu arbeiten (wir alle kennen die Bilder aus England des 18. und 19. Jahrhunderten mit den riesigen Fabrikschloten und der verrusten Luft und dem unfassbaren Elend der Arbeiter). Dabei erhalten sie als Lohn nicht das, was sie tatsächlich erwirtschaften, sondern gerade so viel, dass sie überleben (aka sich reproduzieren) können und nicht auf die Barrikaden gehen. Den Überschuss steckt der Kapitalist als Profit ein. Diesen investiert er dann bestenfalls in neue Fabriken und Ländereien, um seinen Profit weiter zu mehren. Und natürlich in große Villen und zahlreiche Bedienstete etc. Die Arbeiter und Angestellten hingegen werden immer mit demselben abgespeist, egal wie viel der Kapitalist durch ihre Arbeit anhäuft.
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>Nur das bedeutet Kapitalismus: Die Gesellschaft ist aufgeteilt in eine kleine Klasse an Kapitalisten, denen aber fast alles gehört (Produktionsmittel, Ländereien usw.) und eine große Klasse an Arbeitern und Angestellten, die außer ihrer Arbeitskraft nicht viel besitzen und welche sie gezwungen sind, an die Kapitalisten zu verkaufen, um zu überleben. Die Kapitalisten erzielen dabei durch "Ausbeutung" (d.h. weniger zahlen, als der Arbeiter/Angestellte erwirtschaftet und diesen "Mehrwert" einbehalten) ihren Profit und vergrößern damit stetig ihr Kapital.
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>Auch wenn die krassesten Auswüchse dieses in der Menscheitsgeschichte sehr neuen Systems durch Gewerkschaften (blutig erkämpft) und Sozialgesetze (nicht aus Menschenfreundlichkeit, siehe bspw. Bismarck, sondern damit es nicht zur Revolution kommt) inzwischen abgeschwächt wurden, zumindest bei uns in der ersten Welt, haben wir dieses System noch bis heute. Und da unser Leben kurz ist und 250 Jahre eine lange Zeit sind, kommt es uns inzwischen vor, als sei das alles ganz natürlich und schon immer so gewesen.
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>Ernstgemeinte Literaturempfehlung dazu: [https://www.amazon.de/kleinen-Holzdiebe-R%C3%A4tsel-Juggernaut-optimistische/dp/3458644776/?tag=maniacforum-21]
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>Es lässt sich natürlich Ewigkeiten darüber diskutieren, ob dieses Wirtschaftssystem vielleicht nicht einfach das bestmögliche für die Mehrheit der Menschen ist. Die Gleichsetzung von Marktwirtschaft und freiem Handel mit Kapitalismus sowie dessen Naturalisierung ist hingegen eindeutig kontrafaktisch und ahistorisch.
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>Und du bist somit auch kein Kapitalist (dann würdest du uns hier wahrscheinlich gar nicht mit deiner Anwesenheit beehren), sondern höchsten Kapitalismus-Befürworter.
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