Thema:
Erfahrungen aus dem Hotspot Ruhrgebiet flat
Autor: greco
Datum:10.10.23 12:24
Antwort auf:Re:Esken: „Bin nicht sicher, ob Migration das Thema ist" von gameflow

Ich bin selber Aussiedlerkind, da meine Eltern 1980 aus Polen nach Deutschland kamen. Bin allerdings bereits hier geboren und kann aus meiner eigenen Jugend berichten, dass wir hier im Duisburger Norden damals in den Schulen immer schon einen gewissen Anteil Schüler polnischer und türkischer Herkunft hatten. Jedoch nie überproportional viel, sondern so, dass die Klassengemeinschaft ein "ethnisches Gefälle" (klingt blöd, aber mit fällt kein anderer Terminus ein) vermeiden konnte. Migrantenanteil in den 1990er/00er Jahren lag vielleicht bei so fünf bis sieben Schülern in einer 30er Klasse. Diejenigen mit polnischen Hintergrund sind eigentlich sowieso nicht aufgefallen, maximal weil sie halt Anna, Agnes oder Wojtek hießen.

Dies hat sich massiv umgekehrt. Mittlerweile sind in ehemals bürgerlichen Stadtteilen (aka biodeutsch bewohnt) die Klassenzusammensetzungen noch nicht vollends umgekehrt, aber zumindest an bessern Schulen bei 50/50. Der Sohn der Cousine meiner Frau ist z.B. der einzige Deutsche in der Klasse 5 eines Duisburger Gymnasiums (nein, nicht in Marxloh oder Hamborn) und wird auch aus diesem Grund gemobbt ohne das die Schule nennenswerte Konsequenzen zieht. Deutsche ziehen weg, weil sie spätestens mit der Gründung einer Familie keine Lust auf das Umfeld haben. Man muss das so deutlich sagen: Gerade Gutverdiener und Gutsituierte ziehen in den äußeren Speckgürtel am Niederrhein/Münsterland und pendeln ein, wenn man nicht gerade Lokalpatriot oder aufgrund anderer Verpflichtungen hier wohnen bleibt. Im Gespräch heißt es dann nicht, dass man ein Problem mit dem wachsenden türkisch-arabischen Anteil hat, sondern weil es da schöner ist. Das ist aber der Elefant im Raum, der nicht ausgesprochen wird.
Familien die hier bleiben, melden ihre Kinder in Waldorfschulen (die Gentrifizierungsschule überhaupt...nicht wegen dem Konzept, weil man "unter sich" bleibt) oder in Schulen weit außerhalb des Wohnbezirkes an, auch wenn das Pendelstress für alle Beteiligten ist.
Die Erfahrungen mit dem mangelnden Engagement in Fördervereinen, Schulaktivitäten etc. kann ich auch bestätigen, die hier geschildert wurden. Es sind fast immer die gleichen, biodeutschen (oder gut integrierten Migranten der zweiten Generation, deren Eltern aus Polen, Italien etc.), die sich überdurchschnittlich am Sozialleben beteiligen. So entsteht bei vielen der Eindruck, dass eine türkisch/arabische Sondergemeinschaft entsteht, die sich in ihren Vereinen, Geschäften und Lokalitäten tummeln und mit der Mehrheitsgesellschaft (ist es sie im Ruhrgebiet noch, wenn man die Senioren abzieht?!) nichts zu tun haben möchte. Das ist leider an vielen Stellen nicht von der Hand zu weisen und fällt einem selbst auch auf, dass man hier (tm) in italienischen Restaurants beispielsweise keine Migranten aus den eben genannten Regionen trifft. Und wir reden in Teilen schon von der Generation Nummer 4. Selbst in der Nachbarschaft ist es so, dass sich türkisch-arabische Familien sofort zueinander finden und unter sich bleiben, außer einem kurzen Gruß auf der Straße.

Da hat sich etwas manifestiert, dass vielen Leuten sauer aufstößt und der AFD in diesen einstigen SPD-Hochburgen massiven Zulauf beschert. Letzter Einwurf: Duisburg war in seiner Innenstadt sicherlich daher auch schon vor 2015 migrantisch geprägt, aber seitdem hat sich das auch im Straßenbild sehr verschoben. Die Beobachtungen kann ich daher auch meinerseits für das Ruhrgebiet verifizieren. Die Städte haben fast gar nichts mehr mit den Verhältnissen in den 1990er Jahren zu tun. Dies bezieht sich sowohl auf die Geschäfte, das "Leben" auf der Straße, das Sicherheitsempfinden, das Lebensgefühl als solches und andere Dinge. Wer das nicht sieht, ist blind.


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