Thema:
Re:Ein paar Punkte zur Diskussion: flat
Autor: Bullitt
Datum:07.03.24 00:30
Antwort auf:Re:Ein paar Punkte zur Diskussion: von BOBELE

>Aber siehst Du nicht auch, dass es der Bahn-Vorstand ist, der aufstachelt und die Wut der Bevölkerung auf die Mitarbeitenden lenkt?[...]
>Die könnten auch mal ein wenig deeskalierender kommunizieren. Aber die benutzen die Empörung gegen die Belegschaft und die Gewerkschaft quasi als Waffe. Siehst Du das komplett anders?


Zu allererst möchte ich mal Captain Obvious spielen indem ich feststelle, dass keine der beiden Seiten hier sonderlich stark durch Deeskalation aufgefallen wäre.

Des Weiteren kann ich nicht sagen, dass Empörung gegen die Gewerkschaft automatisch Empörung gegen die Belegschaft bedeutet, eher im Gegenteil: wer mit der GDL nicht einverstanden ist, regt sich meist ziemlich konkret über Weselsky auf. Wer dagegen kein Fan der Bahn generell ist, lässt das gern am gesamten Unternehmen inkl. ihrer Mitarbeiter aus.
Beides ist ja auch in diesem Thread zu sehen: Sowohl der starke Fokus auf Weselsky bei der Gewerrkschaftskritik als auch die Aussagen, dass die Bahn generell mies wäre, bis hin zu der Forderung "einfach dichtmachen". Es ist in meinen Augen ziemlich offensichtlich, welche dieser "Kritiken" die Belgeschaft mehr trifft.

Und noch eine generelle Anmerkung - beide Seiten tun ziemlich exakt das, was ihre wichtigsten Stakeholder erwarten. Der Bahnvorstand ist dem Bundesverkehrsministerium unterstellt, und dieses erwartet, dass die Bahn möglichst nicht noch mehr Geld kostet als es ohnehin schon der Fall ist. Die Gewerkschaft dagegen ist zu allererst ihren Mitgliedern verpflichtet, welche logischerweise ziemlich diametrale Interessen verfolgt.

Ein Vorstand einer Aktiengesellschaft, welcher bei Tarifverhandlungen sagen würde "wir erfüllen eure Forderungen gern, darf's denn noch etwas mehr sein?" hat seinen Beruf verfehlt und würde unverzüglich vom Eigentümer entfernt werden.

Genau das ist ja auch einer der Gründe, warum ich die von der Politik vorgegebenen Rahmenbedingungen als sehr relevant auch für die aktuelle Diskussion rund um die Tarifverhandlungen sehe. Denn der Bahnvorstand tut hier genau das, wofür er bezahlt wird. Das ist nicht im Sinne von mir als einfachen Mitarbeiter, aber es ist im Sinne einer Aktiengesellschaft.

Daher finde ich die ganze Kritik auch so ermüdend. Nicht, weil sie falsch wäre, sie ist nur so schrecklich sinnlos.

Wollt ihr, dass die Bahnführung anders handelt? Dann müsst ihr _zuerst_ wollen, dass die Bahn keine AG mehr ist. Anders herum wird es nicht funktionieren, das kann es gar nicht.

Und bevor ich hier als Verteidiger des DB-Vorstands wirke (warum auch immer ich das tun sollte...), hier noch die Klarstellung, falls es nicht eh schon herauszulesen war: Kritik am Vorgehen der GDL ist ähnlich unsinnig, da auch die GDL genau das tut wofür sie da ist. Wer nicht will dass Lokführer und weitere Berufsgruppen streiken, sollte konsequenterweise wollen, dass sie wieder verbeamtet werden.
...nur irgendwie sagt mir mein Bauchgefühl, dass genau die Leute, welche am stärksten auf das Vorgehen der GDL schimpfen, auch in erster Reihe stehen wenn es darum geht, dass Beamte ja auch generell inkompetente und faule Schweine wären...

Auch hier gilt: Es ist nur noch ermüdend.

>Ok. Ich hatte mal versucht, den bestehenden Tarifvertrag für Lokführer zu lesen. Das ist ein so unübersichtlicher Clusterfuck, ich behaupte nicht, das verstanden zu haben.

Das Tarifwerk bei der Bahn ist ein wahrer Quell der Freude, was nicht zuletzt auch durch die verschiedenen Gewerkschaften verkompliziert wird.

Kleine Anekdote: Ich habe ein paar Jahre in der IT im Personalbereich gearbeitet, und was ein äußerlich unspektakulärer Tarifabschluss so an Anpassungen mitgebracht hat, hat schon ordentlich Stress ausgelöst.

Das ist auch der Grund, warum sich der Konzern mit Händen und Füßen gegen die GDL-Forderung wehrt, je nach Gewerkschaftszugehörigkeit andere Tarifverträge zu ermöglichen. Das ist schlicht und einfach nicht umsetzbar in der Realität. Was auch am "kleinen" Problem liegt, dass der Arbeitgeber die Gewerkschaftszugehörigkeit nicht kennt, und ein Arbeitnehmer auch nicht verpflichtet ist, auf entsprechende Fragen wahrheitsgemäß zu antworten.

>Es war halt immer nur die Rede von Bahn und GDL. Das zu verkomplizieren, indem man jetzt noch die Grundsatzdiskussion um die Privatisierung führt, grenzte für mich halt an Whataboutism.

Die Situation bei der Bahn IST halt komplizierter, als die Öffentlichkeit es sieht. Ich wüsste nicht, warum der Hinweis darauf Whataboutism wäre.

>Es ging und geht mir an keiner Stelle um etwas anderes, als klar zu machen, dass die Verantwortung beim Konzern und nicht bei den Beschäftigten liegt. Auch nicht bei denen, die da gerade streiken.

Verantwortung beim Konzern - grundsätzlich nicht falsch. Ich weise nur darauf hin, dass diese Verantwortung direkt an die Politik weitergehen muss, da der Konzern hier exakt im vom Staat als Eigentümer vorgegebenen Rahmen handelt. Alles andere läuft ins Leere.

>Der Zorn ist halt wirklich fehlgeleitet.

Das ist er in jedem Fall.

Ich find's auf jeden Fall gut, dass wir trotz teils verschiedener Ansichten hier respektvoll diskutieren konnten, danke dafür! Das ist leider immer seltener der Fall, sowohl beim Thema Bahn als auch im Internet generell.

Christian


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