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| Autor: | hoover2701 | ||
| Datum: | 27.05.24 13:17 | ||
| Antwort auf: | Re:Das "Nein" zu westlichen Waffen gegen Russland bröckelt von hoover2701 | ||
Da sich ja nun schon einige bemüßigt fühlen, mir hier mehr oder weniger zur Diskussion beiträgliche Antworten zu schreiben, will ich mal kurz gesammelt drauf eingehen. Ja, Putin ist ein Aggressor und sein Krieg gegen die Ukraine nicht zu rechtfertigen. Aber, und das ist mein Punkt: Warum soll die einzige Lösung darin bestehen, mehr Waffen in den Konflikt zu pumpen und vielleicht zukünftig auch noch Menschen (Soldaten) hinzuschicken, so wie von Macron mehrfach angedeutet? Bevor es in diesem Land dazu kommt, dass eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ansteht und mein Sohn dann gegen die Russen kämpfen darf, würde ich mich mitsamt meiner Familie verpissen so schnell es geht. Ich will, dass es erst gar nicht so weit kommt und da sehe ich persönlich nicht weitere Eskalationsstufen als Problemlösung, sondern bin eher für die Aufnahme von diplomatischen Bemühungen (gerne von der Ukraine ausgehend). Und erzählt mir nicht, dass es dort keine Kontakte von Diplomaten gibt, schließlich gibt es ja auch Gefangenenaustausche. Die finden ja nicht zufällig statt. Das ist nur meine - von der Mehrheit der Deutschen nicht mitgetragene - Meinung. Das ist mir klar. Aber dennoch muss es doch möglich sein, in dieser liberalen Gesellschaft andere Meinungen zu ertragen - und eben auch zu respektieren und sie in die eigenen Überlegungen mit einzubeziehen (sofern sie nicht völlig gaga sind). Ich zitiere hier mal aus Richard David Prechts neuem Buch (Das Jahrhundert der Toleranz). Finde es an dieser Stelle ziemlich passend: "Was sind im Umgang mit Staaten wie Russland und China gute Argumente für unvermeidliche Jahrzehnte der Konfrontation? Und was spricht gegen sie und für eine präventive Politik der Deeskalation? Wie auch immer man sich hier entscheidet, man wird sich neben den bekannten Interessen auch mit Gefühlen beschäftigen müssen. Gerade in der Politik gehen starke Gefühle unseren Einsichten stets voraus. In dieser Hinsicht bietet die neokonservative Weltsicht ein ziemlich sicheres Gehäuse. Sie schafft einen ruhigen Hafen inmitten einer unübersichtlichen und unaufgeräumten Realität, mithin eine "westliche" Identität, bei der man unbezweifelt zu den Guten gehört, deren ideale, liberale und friedliche Weltordnung derzeit von den schlechten autokratischen Aggressoren, mit miesem Menschenbild und rücksichtslosem Machtstreben, bedroht wird. Sich selbst gar nicht erst hinterfragen zu müssen, ist ein komfortabler und äußerst verführerischer Ausgangspunkt. Und da er massenmedial breit geteilt wird und die in Deutschland in den Leitmedien veröffentlichte Meinung einem dabei mehrheitlich recht gibt, ist das Komfortable zugleich ziemlich risikolos. Gerade ihre emotionale Schlichtheit verleiht der neokonservativen Weltsicht ihren Charme. Die Eindimensionalität sorgt zuverlässig dafür, dass man gar nicht erst in gedankliche Irritationen gerät. Und wo ein gründliches Studium der Fakten und Umstände jedwede Selbstsicherheit ausgesprochen schwierig machte, belohnt das einfache gleichsam ahistorische Freund-Feind-Schema den, der es verinnerlicht, mit einer festen moralischen Sicht der Dinge. Die Welt fügt sich ein ins Schema WIR gegen DIE, und jeden Tag kommen neue Bestätigungen dazu. Auf die gleiche Weise funktionieren die Derivationen auch in Russland und China, selbstredend unter umgekehrten Vorzeichen. Hier ist der expansive "Westen" der Aggressor und die eigene Entschlossenheit natürlich nichts anderes als angemessene Verteidigung. Ob nun die Ideologie der Neocons oder jene eines ruhmreichen Russlands und glorreichen Chinas - die Systeme mögen höchst unterschiedlich sein, die Bauanleitungen für Derivationen hingegen sind auffallend gleich. Die Komfortzone zu verlassen und sich die Mitschuld westlicher Staaten an vielen Konflikten in der Welt nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart vor Augen zu führen, ist dagegen weit weniger komfortabel. Das Weltgeschehen wird auf einmal ungleich komplizierter. Und versucht man erst einmal, eine allgemeine humanistische Perspektive ohne starke Vorfestlegungen einzunehmen, verliert man schnell den Boden unter den Füßen. Das ist in jeder Hinsicht ziemlich riskant. Zum einen fällt es einem immer schwerer, mit holzhackerischer Sicherheit pauschale Urteile zu fällen. Und zum anderen wird die relativierende Haltung in der Öffentlichkeit auch leicht als störend empfunden, bekämpft oder lächerlich gemacht. Humanistische und erst recht pazifistische Positionen, für die man in Deutschland jahrzehntelang Preise gewann und die als redlich oder sogar weise geachtet wurden, werden heute vielfach als "zynisch" beschimpft. Taktisch und persönlich hat man also derzeit viel zu verlieren, wenn man zur neokonservativen Derivation auf Distanz geht. Doch bleibt der Widerspruch völlig aus und die humanistische Weltsicht gerät in die abgelegensten Winkel der Feuilletons, so zementiert sich die narrative Verengung. Die liberalen Gesellschaften verlieren ihre optimistische Dimension und damit ihren utopischen Horizont mit erheblichen Konsequenzen. Denn liberale Gesellschaften speisen sich seit ihrer Entstehungszeit unverzichtbar aus dem aufklärerischen Glauben an die friedliche Veränderbarkeit zum Guten." |
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