Thema:
Re:Echt sehr cool flat
Autor: token
Datum:27.01.25 15:15
Antwort auf:Re:Echt sehr cool von deros

>Ich hab keine Ahnung, was diese Strohmann-Argumentation soll. Wir reden hier von Leuten, die Kritik geäußert haben.

Wenn ein Geschäft seinen social media Kanal deaktivieren muss, dann ist das erstmal geschäftsschädigend, weil SM für Unternehmer durchaus wichtige Instrumente sind.
Dass er das musste, hat er im Artikel erwähnt, also ist offenkundig dass es um merh geht als "zwei Mails", und eben auch, dass er wenn er wieder hoch fährt, die lustigen Kommentare die er schon antizipiert moderieren/löschen muss.

Auch kategorisiere ich Einzeiler der Marke "Schäm dich!11" nicht als Äußerung von Kritik sondern anmaßendes Anprangern. Und in so einem Fall gegen Zivilpersonen wo ich immer noch nicht verstehe was die Logik hinter den Vorwürfen sein soll. Ich würde auch mutmaßen, dass es keine gibt.
Und das ist ein Problem.

Wie auch immer, sowas noch als "Kritik" zu titulieren, als würde sich jemand im Restaurant über einen pampigen Salat beschweren, ist in meinen Augen nicht sachgerecht.

>Nirgends ist die Rede von Bedrohungen, Selbstjustiz, Vandalismus oder Gewaltbereitschaft.

Natürlich ist es Selbstjustiz Zivilpersonen gezielt zu belästigen. Man hat ja auch keinen anderen Hebel, wenn ein Mensch nach geltendem Recht einfach überhaupt nichts falsch gemacht hat. Also nimmt man es in die eigene Hand. Wie nennt man sowas?

Und das ist ein Spielchen das nicht satt macht. Es bestellt den Boden aus dem dann die anderen Sachen erwachsen. Grenzen werden sukzessive verschoben.
Wenn man so eine Stimmung und Perspektive anfacht, dann werden solche Autos auch irgendwann zerkratzt werden. Denn man etabliert das Bild im Kopf dass ein Fahrer oder Händler eine Art Mittäter ist. Wird so eine Story etabliert, dann machen Menschen irgendwann Dinge um Zeichen zu setzen.

Ich bin mir ziemlich sicher, würden wir zwei über das Verhalten der rechten Szene sprechen und davor warnen wo sowas hinführt, dann hätten wir wahrscheinlich ein ziemlich langweiliges Gespräch und in so einem Punkt wie das eine zum anderen führt keine großen Reibungspunkte.

Das Ding ist nur, diese Mechanismen sind keine Einbahnstraße, diese wirken in beliebige Richtungen. Sobald Menschen nicht mehr damit einverstanden sind welche Formen von Protest oder Anklage einem von der demokratischen Gesellschaft bereit gestellt werden und anfangen gewisse Dinge selbst in die Hand zu nehmen, führt eines zum anderen.

>Du baust Extremsituationen auf, vergleichst mit einem Mob, der Habeck aufgelauert ist

Es geht doch darum dass sowas nicht okay ist. Und warum das nicht okay ist, da dürften wir uns sehr schnell einig sein. Aber ich kann so einen Vorfall ebenfalls relativieren und so tun als ob nichts bemerkenswertes passiert sei. Die Darstellungen des Vorfalls fallen um einiges aufgeregter aus als die tatsächlichen Filmaufnahmen. Habeck wurde nicht tätlich angegriffen. Und auch wenn eine Versammlung eine andere Nummer ist als solche Belästigungen mit den vielen kleinen Nadelstichen, ist Habeck ein politischer Amtsträger und eine Person des öffentlichen Interesses. Und eben kein Autohändler oder sowas.

Diese Spielchen funktionieren halt in beide Richtungen. Diese Relativierungen von so einem Schindluder sind eine Methode die nicht an ein ideologisches Weltbild geknüpft ist. Wenn ich die Methode in die Kritik nehme, muss ich das auch in stringenter Konsequenz tun.

Denn das gehört auch zum Problem. Menschen fällt es immer leicht zu erkennen wenn andere was falsch machen. Aber schwer das bei sich selbst zu erkennen. Und das eben auch, wenn der eigentliche Fehler den man macht in seinem Grundsatz identisch zum Fehler ist den man bei anderen beobachtet und dort auch erkennt.

>und ziehst sogar Linien zu Anschlägen, obwohl der hier dargestellte Fall überhaupt nicht in diese Richtung geht.

Da ging es mir um etwas anderes. Wenn politischer Diskurs wie aktuell auf den Bühnen wo er maßgeblich stattfindet zum größten Teil ein inkohärenter Wilder Westen aus gefühlten Wahrheiten ist und man einfach anfängt sich Dinge so auszudenken und zu drehen und zu filtern dass sie den eigenen Standpunkt untermauern, und es einfach egal wird ob da noch irgendwas zusammen passt, dann wird irgendwann alles egal. Jeder kann sich seine eigene Realität und deren Story einfach ausdenken.

Das ist ja auch das worauf die Neu-Rechten gezielt hinarbeiten, weil es ihnen in die Karten spielt. Aber es passiert eben auch mehr als sowas. Es entstehen bei den Menschen die sich in sowas verlieren außerordentliche mentale Belastungen und irgendwann auch folgerichtig mentale Erkrankungen.

Auch ich merke bei mir selbst, ich bin gegen sowas nicht immun. Ich muss mich aktiv darum kümmern dass ich da ein gewisses Housekeeping betreibe. Zum einen muss ich darauf achten mir Pausen von sowas wie dem hier stattfindenden politischen Diskurs zu nehmen um wieder eine gewisse Distanz zu solchen Reizthemen aufzubauen. Auch Nachrichten dosiert konsumieren. Ich brauche das um mein Urteilsvermögen balanciert zu halten, um mich nicht so leicht reizen zu lassen usw.

Und es hilft mir auch enorm wenn ich dann bei einer Demo mitmarschiere. Nicht weil es mir das Gefühl gibt einen spürbaren Impuls gegeben zu haben der die Welt zum besseren verändert. Aber ich spüre, hey, ich bin nicht allein, so viele Menschen, teils inspirierende Reden, sich mit Parolen auch mal etwas Luft zu machen.  
Das ist für mich wie eine Kur aus der man dann wieder Kraft und Zuversicht schöpft dass es vielleicht doch noch ein gutes Ende nehmen kann.

Und ich gehe eben davon aus dass die wenigsten Menschen total immun gegen das sind, was ich bei mir selbst beobachte. Und darauf wollte ich anspielen. Wenn ein Diskurs, wo alles durchgehend bis in die Haarspitzen emotional aufgeladen ist, nur noch hin und her provoziert wird, und niemand mehr einer Logik folgt die noch irgendeiner inhaltlichen Kohärenz folgt, dann erzeugt das meines Erachtens einerseits einen perfekten Nährboden für geistige Erkrankungen, und andererseits braucht man sich dann imo auch nicht mehr zu wundern wenn die Message die jemand senden möchte und die eigentliche Tat überhaupt keinen Sinn mehr ergibt und nichts mehr zusammen passt. Weil wenn nichts mehr Sinn ergibt, dann ergibt eben auch alles Sinn.

>Mit dieser verkürzten Logik kann man jede Form von gesellschaftlicher Teilhabe schlecht reden in dem man auf ein mögliches Extrem verweist: Auf ne Demonstration gehen? Dann bist du nur einen Zentimeter davon entfernt, zum Steinewerfer zu werden.
>

Nochmal, ich kritisiere nichts was irgendwie mit Meinungsfreiheit oder Protest im Rahmen der Instrumente die Demokratie vorsieht zu tun hat.

Du findest Tesla Scheiße. Dein gutes Recht. Und ich verstehe warum.
Du sprichst aus du Tesla scheiße findest und warum. Dein gutes Recht. Und ich verstehe warum.
Du fängst an Zivilpersonen die in unserem System nichts falsch gemacht haben gezielt zu diskreditieren? Du gibst solchen Vorgängen Beifall? Wir müssen reden.

Und dabei ist es mir egal ob die Zielscheibe eine Shisha-Bar ist wo Rassisten ihre dumme Scheiße machen, eine Biohändlerin ist die Hassnachrichten bekommt, oder eben ein Autohändler der Teslas verkauft.

Finger weg von Zivilpersonen. Es ist nicht unser Job diese zu reglementieren. Und es ist, auch wenn es frustrieren kann wie lange Reformen in der Demokratie brauchen um auf den Weg zu kommen, keine Lösung wenn man denkt man könnte da irgendwelche Abkürzungen nehmen und einfach für sich selbst bestimmen was richtig und falsch ist.

Der aufmerksame Leser wird mitbekommen haben dass ich auch schon früher bei der Bewertung von Tesla zu einem anderen Schluss komme, aber da einfach nur meine Perspektive schildere. Ich teile eure Perspektive zwar nicht, aber ich halte sie für legitim und für valide begründet. Ich denke einfach abstrakt. Und da geht es für mich auch um sowas wie etwa Umsetzbarkeit und einheitliche Fairness.
Ich denke, sobald man wirklich regulatorisch das Verhalten von Beschäftigen zu einem Bewertungskriterium bei der Unternehmensbewertung macht, öffnet man die Büchse der Pandora. Das fliegt einem mit Ansage komplett um die Ohren.
Und es liegt auch einfach viel zu viel im Argen um so eine Linie auch nur im Ansatz verfolgen zu können. Das ist ein Fass ohne Boden. Wenn wir da irgendwas reformieren wollen, dann können wir eben nicht in einem Jahr Versäumnisse nachholen die sich über mehrere Dekaden hinweg aufgetürmt haben und mittlerweile derart zur aktuellen Realität gehören, dass man teilweise nicht mal mehr merkt dass sowas überhaupt ein Problem ist und es früher Regeln gab die dieses Problem verhindern sollten.

Ich hab da auch meine Meinung mit der Zeit geändert. Gerade während Corona, wo auch ich selbst ziemlich geladen war, hab ich mich durchaus gefreut wenn Menschen die Positionen vertraten die ich selbst als Affront empfand, aus ihren Jobs gedrängt wurden. Heute frage ich mich ein Stück weit was ich mir dabei gedacht habe. Ein Mensch, der einen politischen Standpunkt ausspricht, der komplett im Rahmen zulässiger politischer Standpunkte steht, verliert ihren Job?
Unternehmer, die in der Unternehmensführung einen harten Kurs verfolgen und so ein Klima erzeugen auf das bestimmte Einzelpersonen nicht klar kommen, wird an einen öffentlichen Pranger gestellt wo er von der ganzen Welt als Schweinemensch diskutiert wird? Ohne dass es irgendeinen arbeitsrechtlichen juristisch relevanten Verstoß gab?

Nee Freunde, ich glaub aus tiefster Überzeugung dass wir mit diesen selbstgerechten Prangerspielchen ganz ganz dringend nochmal in Klausur gehen sollten. Wenn man etwas tut weil man denkt die Welt wird dadurch besser, und dann sieht man, die Welt wird immer schlimmer, muss man sich auch in solchen Maßnahmen hinterfragen. Ob sowas wirklich Teil der Lösung ist, oder, auch wenn es uns nicht gefällt, Teil des Problems.

Wie auch immer, ich merke total dass ich hier sehr viel schreibe was mit dem eigentlichen Aufhänger nur noch peripher zu tun hat. Und das wohl so auch vom Start weg. Ich weiß dass sowas im Diskurs wenig hilfreich ist. Es passiert mir auch aufgrund des Housekeepings, ich sehe viele Dinge, denke mir was, aber sag erstmal nix. Und wenn ich mich dann irgendwann doch hinreißen lasse was zu sagen, dann kommen auch solche Sachen aus der unausgesprochenen Reserve mit heraus. Sorry.


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