Thema:
Re:Versagen auf Ländereben (Asyl) flat
Autor: Zinkhal
Datum:01.02.25 15:09
Antwort auf:Re:Versagen auf Ländereben (Asyl) von Telemesse

>>>>Mal wieder ein frisches Beispiel dafür, warum ich inzwischen immer mehr der Meinung bin, dass es fast schon egal ist, was auf Bundesebene beschlossen wird, wenn die einzelnen Bundesländer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen.
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>>>>Eine Abschiebung ist gescheitert, weil der abzuschiebende Person eine Rasierklinge versteckt hatte, die leider vorher nicht entdeckt wurde. Am Flughafen angekommen, hat er sich mit der Rasierklinge geritzt – keine schweren Verletzungen, aber vorerst reiseuntauglich. Folglich ist der Flieger ohne ihn gestartet. Ein zeitnaher Ersatzflug stand bereit. Was macht man in diesem Fall? Genau, Abschiebehaft. Der Fall war aus rechtlicher Sicht völlig unproblematisch.
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>>>>Doch in ganz NRW war es nicht möglich, einen Abschiebehaftplatz zu finden (dafür gibt es gesonderte Abschiebehaftanstalten). Wichtig zu wissen: Es gibt ein striktes Trennungsgebot, sprich, die Haftbedingungen müssen etwas „großzügiger“ ausfallen als bei einer regulären Haft. Eine Vermischung bzw. Unterbringung in einer regulären JVA ist daher grds. unzulässig. Theoretisch können die regulären JVAs jedoch entsprechende Abschiebehaftplätze einrichten („Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ aus 2019). Blöd nur, dass keine JVA in NRW diese Regelung umgesetzt hat. Das ist aber weniger die Schuld der JVA (kein Personal), sondern wieder einmal mehr der Politik geschuldet. Es wird etwas entschieden, die Mittel zur Umsetzung jedoch sind nirgend auffindbar.
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>>>>Das Ergebnis? Die betreffende Person musste wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Es ist davon auszugehen, dass sie nun untertauchen wird. Mit der Aktion mit der Rasierklinge hat sie klar gemacht, dass sie alle Mittel nutzen wird, um einer Abschiebung zu entgehen. Sie wird jetzt sicher nicht in ihrer Unterkunft darauf warten, dass in ein, zwei Wochen wieder jemand freundlich an die Tür klopft.
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>>>>Es ist eine Farce, dass nach Solingen und den entsprechenden Äußerungen der Politiker in Richtung der Behörden an so vielen Stellen deutlich wird, dass die Bundesländer (hier NRW) überhaupt keine Rahmenbedingungen schaffen, um bereits geltendes Recht zuverlässig umzusetzen. Wenn die Person nächste Woche Mist baut, wird sich die Politik keiner Schuld bewusst sein – und die „böse“ Ausländerbehörde hat dann mal wieder angeblich ihre Hausaufgaben nicht gemacht.
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>>>>Vielleicht sollte seitens der Politik mal kritisch hinterfragt werden, warum so viele Behörden eine Überlastungsanzeige geschrieben haben. Eine Überlastungsanzeige bedeutet letztlich, dass die Behörde personell nicht mehr in der Lage ist, die Fälle zu bewältigen. Diese Anzeigen müssen gut und ausführlich begründet werden – das Zahlenwerk muss handfest sein. Dahinter steckt also eine Menge Arbeit. Der Vorteil für die Behörde: Wenn sie eine solche Anzeige stellt, können die betroffenen Mitarbeiter grundsätzlich nicht mehr für Fehler im Rahmen ihrer Dienstausführung haftbar gemacht werden. Vielmehr müsste sich die Kritik dann an den Dienstherrn oder die Politik richten.
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>>>>Beispiele wie oben sind Alltag. Die jetzigen Gesetze gehen oftmals nicht weit genug bzw. sind mit erheblichen Einschränkungen in ihrer Durchführung behaftet.
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>>>Was genau bringen neue Gesetze wenn die Behörden überlastet sind?
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>>Man könnte z.B. mal schauen, wo Gesetze in ihrer Umsetzung problematisch sind. Woran scheitern "einfache" Abschiebungen in der Praxis? Wo sind bestehende Gesetze hinderlich bzw. deren Durchführung sind nur theoretischer Natur? Man kann also auch bestehende Gesetze ändern, um diese schlicht praxistauglicher zu machen und die Überlastung der Behörden auf diesem Wege zu reduzieren. Da gibt es viele Möglichkeiten. Wichtig wäre, wie in vielen anderen Bereichen auch, sich vielmehr mit denen auseinanderzusetzen, die die Gesetze in der Praxis auch tatsächlich anwenden müssen.
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>>Allein, dass Abschiebungen regelmäßig scheitern und Personen untertauchen und alles von vorne beginnt, ist in der Praxis ein großes Problem und bindet Ressourcen, die eigentlich für den nächsten Fall benötigt werden. Ferner begünstigen sie in Einzelfällen tragische Schicksale wie Solingen und Aschaffenburg. Diese Fälle hätten verhindert werden können.
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>>>>Aber wenn noch nicht mal bereits bestehende gesetzliche Möglichkeiten umgesetzt werden können, dann hat u.a. die Landespolitik schlicht ihren Job nicht gemacht. Was "oben" verabschiedet wird, löst die Probleme an der Basis nicht. Es ist wichtig, die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, aber dann sollte man auch einen Schritt weiterdenken. Es ist so lächerlich.
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>>>Richtig, wenn bestehende Gesetze nicht angewendet werden können, muss man einen schritt weiter denken, als wieder neue Gesetze zu verabschieden.
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>>Das ist ja einfach. Top. Ernsthaft, jeder weiß doch, dass wir grundlegende Reformen zum (europäischen) Asylrecht brauchen. Angefangen von psychologischer Betreuung bis hin zu einem verbindlichen Verteilungsschlüssel auf EU-Ebene, der auch umgesetzt wird. Alle nationale Maßnahmen wären nur beschränkt von Nutzen. Diese können (aus deutscher Sicht) lediglich als "Druckmittel" genutzt werden, dass auf EU-Ebene ein Umdenken stattfindet und das wir temporär die Überlastung unserer Behörden, Gerichte etc. stoppen, mindestens aber reduzieren.
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>>Aber alle perspektivischen Maßnahmen brauchen Zeit und kosten ein Vermögen, dass gegenwärtig nicht zur Verfügung steht bzw. von einem Staat alleine nicht getragen werden kann. Seit gestern ist doch klar, dass wir keine Einigkeit hinsichtlich eines einheitlichen Vorgehens haben. Ganz wertfrei. Mir fehlt inzwischen der Glaube, dass die Politik (national wie auch auf EU-Ebene) an einem Strang zieht, um grundlegend etwas zu ändern. Insofern kann es doch aktuell nur darum gehen, was mit den bestehenden Mitteln und im Rahmen der gesetzgeberischen Möglichkeiten optimiert werden kann. Und da tut sich seit Jahren nichts und/oder auf Landesebene werden die Voraussetzungen schlicht nicht geschaffen.
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>>Hätte noch ein Beispiel. Asylantragssteller braucht psychologische Betreuung. Wer bezahlt das? Da fetzen sich dann Stadt/Kreis, Land und/oder Bund. Nach langen hin und her und Klärung der Zuständigkeit, fällt dann auf, dass auch noch ein Dolmetscher benötigt wird, da der Psychologe die Sprache nicht spricht. Nächste Runde. Dan ging es darum, wer den Dolmetsche bezahlen soll. Grds. braucht jeder, der einen berechtigen Asylantrag stellt, psychologische Betreuung. In der Regel haben alle ein Trauma. Hätte mein Freundin nicht ihre privaten Kontakte spielen lassen und in ihrer privaten Zeit einen Psychologen mit entsprechenden Sprachkenntnissen ausfindig gemacht, wäre da nichts passiert. Wie kann das sein, dass wir bei solchen Fällen keine Antworten haben? Wie viele Psychologen haben wir mit Kassenzulassung? Zu wenig.
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>Als gesetzlich Versicherter wartest du aktuell locker 3-4 Monate auf einen Termin beim Psychater.
>Das jeder der einen Asylantrag stellt, psychologische Betreuung benötigt, erscheint mir allerdings etwas überzogen,  ich meine letztens aber mal gelesen zu haben das etwa 30% Psychische Probleme hätten.
>Mal ausgehend von den 2023 Zahlen wären das also immer noch deutlich über 100.000 Personen. Und das ja jährlich kumulativ zu den bereits oder noch in Therapie befindlichen Personen.
>Das dürfte bei realistischer Betrachtung weder personell noch finanziell zu stemmen sein. Und  darüber wie sich dadurch die Aussicht auf Therapie für gesetzlich versicherte Beitragszahler verändert möchte ich gar nicht nachdenken.


Die Aussage meiner Freundin war, dass die Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien etc. fast durchgehend traumatisiert sind und es zumindest aus medizinischer Sicht geboten wäre, diese allesamt bei Psychiater vorstellig werden zu lassen. Die haben fast alle starke Traumata. Dies wirst du jedoch nicht statistisch belegen können, da dies einfach nicht erfasst wird. Es ist eher ein Bauchgefühl bzw. die Erfahrung aus der Praxis. Das das, gerade gegenwärtig, nicht in der Praxis zu lösen ist, versteht sich von selbst. Wenn du jedoch einen deutschen Staatsbürger hast, der z.B. unter starken Depressionen leidet, besteht überhaupt kein Zweifel, dass dieser ohne psychologische Hilfe nicht mehr weiterkommt, geschweige den arbeitsfähig ist. Wie kommt man als Staat/Gesellschaft dann auf die Idee, dass bei Flüchtlingen eine Integration (auch in den Arbeitsmarkt) dann dem Grunde nach möglich sein sollte? Ich habe auch keine Antwort, wie man das in der Praxis bewerkstelligen sollte. Aber das Problem als solches ist da. Deswegen vertrete ich persönlich auch eine viel härtere Gangart, wer Asyl gewährt bekommt und wann ggfs. der Schutzstatus aufgehoben und abgeschoben wird. Eine Drittstaatenlösung halte ich in diesen Fällen für vertretbar. Die Ressourcen müssen den zuteil werden, die wollen, unser Gesetz und unser Land achten und einfach dankbar für einen Neustart sind und im Ergebnis die besten Chancen auf Integration haben. Alle anderen muss klar gemacht werden, dass sie hier keine Perspektive haben. Das darf unser Staat auch mit aller Deutlichkeit so kommunizieren und gesetzlich festlegen. Und genau hier haben wir Defizite.

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>>Wir haben so viele strukturelle Probleme in Deutschland, die wir seit Jahren aufgebaut haben, die mit voller Wirkung auch auf die Migrationsproblematik niederschlagen. Der fehlende Wohnraum schlägt ebenfalls voll durch. Alle diese Punkte müssen parallel angegangen werden und perspektivisch gelöst werden. Das wird aber Jahre dauern. Da können sich vermutlich (fast) alle drauf einigen. Worauf sich viele jedoch nicht einigen können, dass dies unser akuten Probleme nicht löst. Diese können auch nicht wirklich gelöst werden. Wir können diese Probleme aber abmildern und bestehende Prozesse effektiver gestalten.
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>Deswegen war ja, so wie ich das gelesen hatte, in dem Gesetzantrag auch erstmalig mal das Wort „Begrenzung“ vorhanden. Wie soll man sonst jemals bestehende Versäumnisse abarbeiten könnten, wenn ohne, realistisch nicht zu erwartende, personelle und finanzielle Aufstockung, der Zuwachs an Neufällen ungebremst weiter geht.
>Voraussetzung für einen Lösungskompromiss wäre demnach mal, ganz sachlich, die tatsächliche, dauerhafte Machbarkeit in Form einer numerischen Obergrenze zu bestimmen.


Sehe ich auch so.


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