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| Autor: | futzi | ||
| Datum: | 14.03.25 19:35 | ||
| Antwort auf: | Was ich noch sagen wollte #276 von pacmanamcap | ||
Am Sonntagabend, nachdem ich mir mein Abendessen gekocht hatte, übermannte mich plötzlich ein heftiger Schmerz in der Speiseröhre. Er war so stark, dass ich unwillkürlich schneller atmete – Luft bekam ich aber ausreichend. Ich war allein zu Hause und konnte nur noch eingeschränkt sprechen, also rief ich meine Eltern an, die in der Nähe wohnen. Mein Vater verständigte daraufhin sofort den Rettungsdienst und stellte sich an die Straße, um die Sanitäter einzuweisen – mein Haus liegt etwas versteckt. Ich hatte selbstverständlich nichts Besseres zu tun als in der Zwischenzeit, dann doch noch die Küche so weit es ging aufzuräumen. Als die Rettungssanitäter eintrafen, begannen sie direkt mit ihrer Arbeit – eine Spritze hier, Fragen dort. Doch als das EKG auffällige Werte zeigte und ein Notarzt hinzugerufen wurde, dämmerte mir, dass etwas wirklich nicht stimmte. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich noch überzeugt gewesen, dass es sich um ein Problem mit der Speiseröhre handelte – rational betrachtet völlig unlogisch. Trotz allem blieb ich ruhig, hatte keine Panik und auch keine Angst zu sterben. Mein Körper lief auf Hochtouren, mein Sichtfeld war eingeengt – ich war vollkommen auf die Helfer fokussiert. Inzwischen waren auch meine Freundin und meine Tochter angekommen. Als ich auf der Trage an ihnen vorbeigeschoben wurde, war ich sehr traurig. Ich wusste, dass ich ihnen Kummer bereitete. Besonders meiner Tochter – sie wäre Vollwaise gewesen, hätte ich es nicht geschafft. Im RTW fiel dann auch das erste Mal das Wort „Herzinfarkt“, gefiel mir überhaupt nicht. Im Krankenhaus kam ich direkt ins Herzkatheterlabor. Der Zugang wurde über das Handgelenk gelegt. Man spürt oder erahnt die Drähte, die sich durch den Körper bewegen. Hin und wieder fühlte ich einen stechenden Schmerz im Herzen und einen Druck auf der Brust. Die Ärzte diskutierten über ihre Headsets das weitere Vorgehen. Sie legten mir 2 Stents (einen Tag später musste bei einem zweiten Eingriff auch noch ein dritter gelegt werden) Nach dem Eingriff verbrachte ich zwei Tage auf der Intensivstation. Es war laut, hell und unruhig. Mein Zimmernachbar war durch eine Trennwand abgeschirmt, aber ich konnte ihn hören – er atmete laut durch eine Maske, pfiff auch immer mal wie ein Erdmännchen. Dazu kam die ständige Lautstärke des Dialysegeräts. Er redete wirr und machte sich mehrfach in der Nacht in die Hose. Ich ertrug es, ohne dass ich genervt war, aber am Ende fehlte mir der Schlaf wirklich. Mein persönliches Ziel: die Bettpfanne um jeden Preis vermeiden. Pipi in eine Flasche zu machen, war schon unangenehm genug. Immerhin hatte ich durch das häufige Übergeben genügend „Extra-Zeit“, die Bettpfanne zu umgehen. Am dritten Tag wurde ich auf die Geriatrie-Station verlegt. „Na super“, dachte ich, „jetzt bin ich offiziell alt.“ Der wahre Grund war allerdings schlicht Platzmangel. Ich musste kurz auf dem Gang warten und schielte schon sehnsüchtig auf das WC, als mich eine ältere Dame ansprach – Ihr kennt das bestimmt diese Sorte Mensch, den du besser nicht den sprachlich kleinen Finger reichst, weil sie dann nicht mehr abhauen und von Gott und die Welt erzählen. Dieser Kurschatten kam die nächste Zeit auch erstaunlich oft mit ihrem Rollator an meiner Zimmertür vorbei und wünschte mir jedes Mal gute Besserung. Ich hatte Glück mit meinem Zimmer: ein Zweibettzimmer, und ich lag am Fenster – perfekt. Mein Zimmernachbar, Karl Heinz, war 89 Jahre alt und schwankte zwischen wachen und verwirrten Momenten. Wenn er nicht bei klarem Verstand war, wollte er ständig aufstehen, seinen Katheter entfernen oder direkt in den Urinbeutel pinkeln. Bei Frühstück verwechselte er den normalen Stuhl mit dem Toilettenstuhl und meinte nur: „Dann leg ich mal los.“ Doch trotz allem war er immer freundlich – und niedlich. In seinen klaren Phasen erzählte er Geschichten: von seiner Flucht aus Schlesien, von einem BMW, den er in der „Hummelwiese“ gekauft hatte – der sich dann als Fiat entpuppte (da hat er sehr gelacht) von seiner Tochter und von einem nächtlichen Autounfall vor zwei!! Jahren. Ich mochte ihn so sehr, dass ich am Ende länger blieb, weil er sich so freute, mir seine Geschichten zu erzählen. Seine Tochter ist eine bekannte Zahnärztin in der Stadt – fast hätte ich ihr schreiben wollen, dass sie ihm Grüße ausrichten soll. Aber das wäre wohl drüber. Nun bin ich entlassen worden und zu Hause. Krankgeschrieben und warte auf meine Reha. Ich hatte keine Vorerkrankungen und keine besorgniserregenden Blutwerte, Rauche nicht und trinke selten. Ich habe in der Woche viermal Sport gemacht. Und trotzdem hätte es mich an diesem Sonntag einfach so versterben können. Das sagt mir, dass ich meine Lebensweise trotzdem ändern muss. Denn, obwohl meine Werte nicht auffällig waren, hatte sich Plaque in meinen Adern angesammelt. Was bleibt? Meine Tochter wohnt über mir, meine Eltern sind in der Nähe. Meine Freundin hat mir das Gefühl von Verlässlichkeit und Zusammenhalt gegeben. Und doch fehlt mir das Gefühl von Familie, seit meine Frau verstorben ist, weil wir getrennt wohnen. Meine Tochter würde es auch ohne mich schaffen, das weiß ich. Sie ist klug und umsichtig. Ich bin dankbar für die Freunde, die ich habe. Ich muss mich dringend um mein vermeintlichen ADHS kümmern. Und ich muss mich damit abfinden, dass ich wohl nicht das Alter von Karl Heinz erreichen werde. Weniger Stress, mehr Schlaf, gesünder leben. Ich werde Fußball spielen sehr vermissen. Und vor allem: Ich mag Menschen. Danke fürs Lesen. |
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