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| Autor: | Jassi | ||
| Datum: | 16.03.25 21:31 | ||
| Antwort auf: | Bücher Thread #7 von Jassi | ||
Tja, werte Leser, wer hätte es gedacht, aber es sind wieder zehn Buchtitel, die ich hier vorstellen kann und - so viel will ich schon mal vorgreifen – es sind einige Knaller dabei. Dennis Covington - Salvation on Sand Mountain: Snake Handling and Redemption in Southern Appalachia [https://www.amazon.com/Salvation-Sand-Mountain-Redemption-Appalachia/dp/0306818361] Dieses Buch war das Geschenk eines Freundes (seine Dissertationsschrift God behind bars hatte ich hier auch vorgestellt in der er die amerikanische Gefängnisseelsorge mit der deutschen vergleicht). Covingtons Buch hat er u.a. mit Insassen gelesen als er dort in US-Gefängnissen tätig war während seines Theologiestudiums. Um was geht’s? Der Journalist beschreibt wie er im tiefsten Bible Belt (die nächste Ortschaft ist vier Autostunden entfernt!) vor Ort die religiösen Praktiken einer bestimmten Art von Freikirchler erlebt und hier wird’s dann nicht nur redneckig, sondern wirklich abgefahren: Beim Gottesdienst wird nicht durch Handauflegen o.a. Kontakt zum heiligen Geist aufgenommen, nene, man nimmt eine Giftschlange in die Hand und wenn die dann in die andere beißt, dann bedeutet das einfach der eigene Glaube in dem Momant war nicht stark genug und der kleine Jesus muss deswegen weinen . Hochzeiten laufen übrigens ähnlich ab. Die Braut ist schwanger? Wenn Gott dich lieb hat, dann wird das schon gut gehen. Snake handling ist echter Next Level Shit. [https://de.wikipedia.org/wiki/Snake_handling] Noch abgefahrener wird es als der Autor selber sich dann an der Schlangennummer versucht... und ihrer Faszination auch noch unterliegt! Und wie! Irgendwann darf er dann auch einen Sermon abhalten und verweist, nachdem eine der Gottesdienstbesucherinnen zuvor vom Cheffe runtergebuttert wurde darauf, dass Maria Magdalena – also eine Frau - eigentlich der erste Apostel ist, da sie der erste Zeuge der Auferstehung Jesus' war. Ujujuj, das kommt natürlich bei Cheffe & Co null gut an, (schon gar in den 90er, wo wir uns befinden,) wobei mir mein Kumpel dann erklärte, dass gerade das ein Novum in den abrahamitischen Religionen darstellte. Ihr seht wir haben es hier mit einem typischen schleuder-Buch zu tun. Es ist auf englisch (janz wichtig!), behandelt irgendwelchen abgefahren Scheiß und liest sich gut weg. So wurde es 1995 für die National Book Awrds nominiert. Yasushi Inoue - Der Tod des Teemeisters [https://www.amazon.de/Tod-Teemeisters-Roman-suhrkamp-taschenbuch/dp/3518460250] [https://www.youtube.com/watch?v=JnoGIk6G1F4] (Literatur News) Durch obigen Booktuber (so nennen wir modernen Leute von heute das und der Junge wird – das prophezeie ich - irgendwann mal richtig groß) bin ich neugierig auf den mir bis dato gänzlich unbekannten Yasushi Inoue geworden – schätze mal, dass er Kola und chifan schon eher ein Begriff ist. Die Eiswand wollte ich aber noch nicht lesen und irgendwie sprachen mich die Rezensionen an. Zumal ich durch die Serie Shōgun eh voll drin im Thema „Feudales Japan“ war, von Teezeremonien will ich erst gar nicht anfangen. Ich und der Weg des Tees ( chadō ) sind so * fingerüberkreuz * Der Roman ist ein nettes ruhiges in Balsam getunktes Sushiröllchen für zwischendurch. Was ich mich aber bei der Übersetzung von Ursula Gräfe (Murakami-Fanboys wissen beischeid) verwunderte war, dass sie sowohl das Wort „Freitod“ wie auch „Selbstmord“ an einer Stelle verwendete. Ein Lapsus ist bei jemandem von ihrem Kaliber ausgeschlossen. Seppuku / hara-kiri? Patrick Holzapfel – Hermelin auf Bänken [https://www.amazon.de/Hermelin-auf-B%C3%A4nken-Patrick-Holzapfel/dp/3751870253] [https://www.srf.ch/play/tv/literaturclub/video/von-smartphones-bis-spurensuche-diese-buecher-bewegen?urn=urn:srf:video:2b846f87-151f-4505-bdb0-e7d66887ff3a] Dass ich hin und wieder was aus der Sendung Literaturclub vorstelle, sollte jedem regelmäßigen Leser meiner WIIDLWGH-Teile längst aufgefallen sein. Natürlich hat es mich freudig überrascht hier auch mal Wolle Schmitt mit von der Partie zu sehen, aber noch mehr hat mich überrascht, dass der von ihm mitgebrachte Titel von allen gelobt wurde, so was ist in dieser Sendung wirklich selten der Fall. Und auch ich kann mich den Lobeshymnen nur ansschließen, was ein wunderbarer Roman. Der Protagonist entdeckt seine Liebe, nein, nennen wir es besser seine Passion fürs „Bankieren“ - also dem ungezwungen langen Verweilen auf einer Sitzbank in Wien. Dort studiert er seine Umgebung oder kontempliert einfach. Zu Beginn eines jeden Kapitels beschreibt er die Machart seiner Sitzgelegenheit, allein schon das ist eine Klasse für sich. Die Form modernerer Bänke folgt heutzutage der Funktion Penner [sic!)] von ihr abzuhalten , weshalb sie dann auch den aufrechten Bürger nicht zum Verweilen einlädt. Doch im Verlauf dieses Büchleins tritt immer mehr das Thema Erinnerung zu Tage. „Filme zerstören Erinnerung, es gibt keine echte Erinnerung, da jedes mal eine neue Schicht darüber gelegt wird“ meint eine Filmwissenschaftlerin. Der Protagonist versucht durch sein Mitbringel (Mokka Cognac) einem kürzlich kennengelernten Antiquitätenhänlder nach seinem Schlaganfall dessen Erinnerung wieder zurückzugewinnen, doch letzterer kann im totalen Gegensatz zu dem was es über sein absolutes Lieblingsgetränk mal erzählte nichts damit anfangen. Ist die eigene Erinnerung, ja sind selbst die tiefsten Teile davon so brüchig? „Versprich, dass du ab und an mich denkst“ waren mit die letzten Worte die die Mutter des Protagonisten ihm auf den Weg gibt. Und so entspinnt sich endlich der wahre Grund des Bankierens und wieso auch sein Bart immer länger wird. Wir haben es hier mit einem wundervollen Roman über das Thema Trauern zu tun, der mich ein bisschen an den Film Zero fucks given erinnert, wo sich einem auch erst zum Ende hin stückchenweise erschließt, dass alles davor nichts anderes war als der Copingstrategie der Protagonistin beizuwohnen wie sie mit ihrer Trauer einfach nicht fertig wird. Toll! Ganz ganz toll! Das Ding eignet sich in meinen Augen hervorragend als Schullektüre bzw. als Einstieg in die Literatur. Knut Hamsun – Hunger [https://www.amazon.de/Hunger-Knut-Hamsun/dp/3548291090] Ich will zum Start erst mal Wiki zitieren: Viele bedeutende Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wie Franz Kafka, Hermann Hesse, Thomas Mann, Marcel Proust, Ernest Hemingway, James Joyce und Henry Miller ließen sich durch die neuartige Schreibweise von Hamsuns Erstlingswerk beeinflussen. Der Roman gilt als bedeutender Meilenstein in der Entwicklung der Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms. Holla, was geht denn bei diesem Roman so ab in dem der physische und folglich auch psychische Verfall des „namenlosen“ Ich-Erzählers Thema ist? IGg. zu den Naturalisten/Realisten lässt Hamsuns Protagonist jegliche Kritik an äußeren Umständen komplett aus. Einzig der Hunger treibt ihn, die Schriftstellerei will er aber zu keinem Punkt aufgeben, so verscherbelt er nach und nach seine Kleidung, nutzt die Wohltätigkeit seiner Mitmenschen bis zum äußersten aus, selbst sein Geist muss dem nach und nach Tribut zollen. Ich habe das Buch in zwei Zügen durchgelesen. Wenn also sowohl Kafka, Thomas Mann und obendrein auch noch ich die Qualität des Romans anerkennen, wieso ist dann der Name Knut Hamsun den meisten nicht geläufig? Nun...Hamsun war (auf seine alten Tage hin) ein begeisterter Anhänger der Nazis und mit „Nazi“ meine ich das nicht inflationär gebrauchte Böhmermann'sche Nazi, sondern wirklich Nazi-Nazi. [https://de.wikipedia.org/wiki/Knut_Hamsun#Hamsun_und_Deutschland] Was bin ich froh, dass ich zwischen Kunst und Künstler trennen kann. Christa Wolf – Nachdenken über Christa T. [https://www.amazon.de/Nachdenken-%C3%BCber-Christa-T-Wolf/dp/3518459139] „Versteh einer die Weiber“, dachte ich mir noch anfangs als ich diesen Roman der bekanntesten DDR-Schriftstellerin las. Ähnlich wie bei Herta Müllers Der Fuchs war damals schon der Jäger hatte mein Holzkopf Probleme mit der Dechiffrierung des Textes, die sich dann aber im Verlauf legten. Apropo dämliche Männer... Gutes Ding! Max Horkheimer und Theodor W. Adorno - Dialektik der Aufklärung: Philosophische Fragmente [https://www.amazon.de/Dialektik-Aufkl%C3%A4rung-Philosophische-Max-Horkheimer/dp/3103971524] „Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit“ Dies dürfte wohl der bekannteste Satz obiger Fragmentsammlung sein und ich war schon seit langem heiß darauf sie endlich mal zu lesen. Die Ausflüge zu Odysseus und Marquis de Sades Justine (Ausgerechnet das hatte ich von ihm noch nicht gelesen) fand ich jetzt nicht sooo spannend, aber das Kapitel über die Kulturindustrie ging bei mir runter wie Öl. Das Buch ist 1944 rausgekommen, ich würde nur zu gern wissen wie Adorno und Horkheimer heute – also 80 jahre später – reagieren würen, wenn denen die Auswüchse von Star Wars und Marvel zeigen würde. Kultur und Kunst hat nunmehr ausschließlich die Funktion,die bestehende Gesellschaft zu affirmieren; dies geht einher mit einer Neuordnung des Alltagslebens, nach der Arbeit und Freizeit nicht mehr als getrennte Sphären erscheinen. »Die technologische Angleichung der Individuen bei der Arbeit findet ihre Entsprechung in der Gleichschaltung der Individuen in der Freizeit. Für diese Gleichschaltung sind zwei Faktoren hauptverantwortlich: »Die Mittel, die dem Vergnügen dienen, wurden mehr und mehr zu standardisierten Gebrauchsgegenständen, die von den Monopolen der Vergnügungsindustrie hergestellt und verteilt wurden. Restaurantketten, Filme, Konzerne, Radiosender, Zeitungs- und Mediensyndikate beliefern die Öffentlichkeit mit vereinheitlichter Unterhaltung, die diese Öffentlichkeit zu vereinheitlichten Reaktionen erzieht. Die monotonen Abläufe während der Arbeitszeit führten zu einer ähnlich monotonen Erholung nach der Arbeit.« Nicht nur Adornos Haltung zu Jazz ist kritikwürdig, aber bevor ich hier mir einen abstammel und noch auf das sehr interessante Kapitel über Antisemitismus oder den Exkurs über Feminismus eingehe, würde ich empfehlen sich ein oder zwei Wiki-Artikel durchzulesen. Thomas Mann – Tonio Kröger / Mario der Zauberer https://www.amazon.de/Tonio-Kr%C3%B6ger-Zauberer-tragisches-Reiseerlebnis/dp/3596213819 So, damit hätte ich nach Der Tod in Venedig die drei bekanntesten Novellen von Mann abgehakt. Nach dem Lesen von Tonio Kröger war ich echt irritiert, das hier soll super sein? Bei der Mario und der Zauberer habe ich das verstanden. Doch man muss Tonio Kröger als Blaupause bzw. Keimzelle für viele von Manns späteren Werke sehen. Musa al-Gharbi - We Have Never Been Woke: The Cultural Contradictions of a New Elite [https://www.amazon.de/Have-Never-Been-Woke-Contradictions/dp/0691232601] [https://vorpolitisch.podbean.com/e/vorpolitisch-meets-philipp-hubl/] 33:20min Durch obigen Podcast bin ich auf das Buch aufmerksam geworden und war nachdem ich mich noch wenig darüber informiert hatte sowas von heiß drauf. Obendrein hat die Bestellung fast vier Wochen gedauert! Aber fuck hat sich das Warten gelohnt! Absoluter Volltreffer! Keine Wunder, dass al-Gharbi als der neue Tocqueville angepriesen wird. Um aber vorerst gleich mal die Kuh vom Eis zu nehmen, der Titel bezieht sich auf Bruno Latours Buch We habe never been modern und was al-Gharbi auch sehr wichtig ist: Das „We“ schließt ihn mit ein. Um was geht’s? Ich hatte schon mal geschrieben, dass ich Parallelen zwischen den „Wokies“ und den 68er sehen und damit war ich wirkich einer heißen Sache auf der Spur. Denn laut al-Gharbi kommt es immer dann zu solchen „Awokenings“, wenn eine Überproduktion von Studenten vorliegt. In der Zweiten Hälfte charkterisiert er die Eigenheiten der „Symbolic Capitalists“ (ein anderes Wort für Professional-Manager-Class – Catherine Liu-Leser wissen bescheid] Während Pierre Bordieu dem Menschen nur finanzielles, politisches, kulturelles Kapital zuordnet, was dann später auch um das sexuelle erweitert wurde, fügt al-Gharbi neben dem symbolischen noch das totemistsiche Kapital hinzu. So wird z.B. die eigene Hautfarbe, Identität oder Krankheit („Seht her, ich habe ADHS!“) genutzt um im eigenen sozialen Milieu zu punkten. Ich würde wirklich raten sich jeweils die ersten 45 Minuten der folgenden Videos anzuschauen, da die jeweils eine Hälfte des Buches gut erklären. [https://www.youtube.com/watch?v=0tdr6aFBE1g] [https://www.youtube.com/watch?v=FdWirbDfQ4w] Die Kritiker sind ebenfalls begeistert: [https://www.city-journal.org/article/review-of-we-have-never-been-woke-by-musa-al-gharbi] [https://www.washingtonpost.com/books/2024/10/14/never-been-woke-review/] [https://www.theguardian.com/commentisfree/2024/nov/10/cosplaying-social-justice-is-the-new-elitist-way-of-elbowing-out-the-working-class] U.a. geht’s auch um moral cleansening, moral lisencing und moral credentialing,die typischerweise nur in WEIRD (western educated industrialazed, rich democtratic) Staaten anzutreffen sind. Eigenes moralisches Fehlverhalten ist absolut okay, denn man gehört ja zu den Guten. Ich breche an dieser Stelle mal ab und werde noch ein paar nette Fun Facts aus dem Buch nachreichen iwe z.B. die Tatsache, dass nur 3% aller begonnen Büchern von Amerikanern zu Ende gelesen werden und diese lesen eh kaum noch Bücher. Paul Auster – Baumgartner [https://www.amazon.de/Baumgartner-tender-masterpiece-memory-writers/dp/0571384951] [https://www.srf.ch/play/tv/literaturclub/video/paul-auster-baumgartner?urn=urn:srf:video:d7ea6d57-80de-425f-a067-6ebef9eff2eb9] Irgendwer hier im Forum (es könnte chifan gewesen sein) hat mal fallen lassen, dass er mit seinem Interesse für Baumgartner ganz allein stehen würde. Also dachte ich mir: Surprise Motherfucker! Die versprochene Thematik (Verarbeitung von Trauer) war für mich Anreiz genug und das Büchlein startete auch vielversprechend, doch spätestens nach dem ersten Drittel fällt es mir schwer wohlwollend darüber zu urteilen. Nee, das war nix. Einen roten Faden sucht man hier vergeblich. Hat es sich Paul Auster also damit bei mir verscherzt? Mitnichten. Arno Görgen & Rudolf Inderst - Old World Blues: »Fallout« und das Spiel mit der Postapokalypse [https://www.amazon.de/Old-World-Blues-%C2%BBFallout%C2%AB-Postapokalypse/dp/3963173904] [https://www.spielvertiefung.de/post/im-gespr%C3%A4ch-%C3%BCber-fallout-arno-g%C3%B6rgen-rudolf-inderst] Und da sind wir wieder: Ich stelle ein Buch über ein Videospiel in einem Videospielforum vor, wo aber lieber mit den Augen gerollt wird als sich mit seinem Hobby auch mal ernsthaft zu beschäftigen. Jörg Luibl ist echt eine der wenigen wohltuende Ausnahmen vom sonstigen deutschen Videogamesjournalismus. Interdisziplinäre Perspektiven auf ein Videospiel finde ich wirklich interessant, zumal Fallout 3 einer der ganz wenigen Titel ist bei dem ich insta die 10/10 zücken würde. Eine religionswissenschaftliche Perspektive eines Theologen auf die diversen Religionsbildungen im Fallout-Universum ist echt ein spannendes Thema. Genauso wie über die ganzen Überlegungen zu berichten, die zwei Wissenschaftler sich gemacht haben wie man nach einem möglichen echten Fallout „Leute“ in 10000 Jahren davon abhalten kann unsere heutigen Atomendlager zu öffnen. Sprachen- und Symbolverständnis wären da ein echtes Problem. Eine Art religiösen Orden zu bilden, der über die Deponien wacht, war ebenfalls eine Idee, da sich das in der menschlichen Geschichte als relativ zuverlässig erwiesen hat. Weiter geht ein Ableismus-Forscher relativ hart ins Gericht mit der Tatsache, dass einem Lösungswege verbaut werden, wenn man mit einer Figur spielt, die einen Intelligenzwert unter 3 aufweist. Ich kann übrigens Luibls Begeisterung für den Text der Fallout 3 und Co. als eine „Heterotopie“ im Foucalt'schen Sinne betrachet durchaus verstehen. Überhaupt musste ich beim Lesen des Buches öfter mal Fremdwörter nachschlagen oder weiß hier jemand was Promenadologie bedeutet? |
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