Thema:
Pfui: Weiterbildung / Hui: Abschluss (viel Text :-) ) flat
Autor: Purple Motion
Datum:27.03.25 14:40
Antwort auf:Hui oder Pfui #107 von Jassi

Aufgrund des Weiterbildungsangebots unserer Firma, habe ich mich mit fast 50 Jahren letzten Oktober entschlossen, nochmal die Schulbank in ner Uni (Fachhochschule) zu drücken.

Erste Hürde war, dass man hier nicht einfach so hin kann wie an eine Abendschule. Hier gelten Auflagen und es gibt einige Zulassungskriterien, welche ich aufgrund meiner normalen Schuldbildung nicht alle erfüllt hätte. Da mein Studiengang aber sehr berufsorientiert war und ich hier schon jahrelange Berufserfahrung mitbringe, musste ich vorab noch einen Lehrgang für wissenschaftliches Arbeiten bestehen und so die Zulassung erhalten. Hier bin ich dann schon das erste Mal an meine Grenzen gestossen. Aber habe durchgebissen, bestanden und konnte mit dem Studiengang anfangen.

Die Klasse war ein bunt gemischter Haufen von 15 Nasen. Quer gemischt aus diversen KMUs aber auch Mitarbeiter von wirklich grossen Big Player Firmen. Viele von ihnen bereits diverse Studiengänge hinter sich und auf dem Weg zum Master- oder Bachelor. Ich, der absolute Newbie mit Plan von nicht so viel. Ich bin da völlig unsichtbar geblieben. Die haben sich in den Pausen und am Mittagstisch unterhalten, ich hab selten mehr als nur Bahnhof verstanden. Dieses Fachgesimple von elitären Angestellen einer Grossfirma, klang für mich wie eine Fremdsprache. Die sprechen aber leider auch privat genau so. Und aus einem simplen Satz wie zB: "Die Banane ist gelb und gebogen", können die 1 Stunde Analysetalk betreiben. Schrecklich!

Nach den ersten beiden Wochen gewöhnt man sich aber irgendwie dran. Von 10 Sätzen versteht man halt nur 3, aber das meiste ist eh nur geschwollene Luft.

Der Schulstoff ist happig. Die Schul- & Lernmethodik die verwendet wird, das Selbststudium und diese ganzen Uni Richtlinien und Standard XY muss beachtet werden, macht mir sichtlich Mühe. Nebst dem Fulltime Job noch jede Woche und an den Wochenenden büffeln für die Schule. Ich habs wirklich unterschätzt.

Der erste Monat war rum, ich dümple immer noch in seichtem Gewässer. Gottseidank bin ich nicht der Einzige, anderen geht es ähnlich. Wenn auch der Grossteil aber fit ist und der Unterricht leider an denen gemessen und auch deren Tempo als Massstab genommen wird.

Zeitweise überleg ich sogar, alles zu schmeissen. Ich war schon in der Schule immer schon nur im Mittelfeld und nur in einzelnen Fächer gut. In denen aber dann immer Klassenbester.

Ich hab das Problem, dass ich nur was lernen kann / will, wenns mich wirklich interessiert. Ansonsten klinken sich meine Hirnhälften aus und nix bleibt hängen. Und Konzentration ist leider auch so eine Sache (ADS lässt grüssen).

Die Bewunderung und den Respekt von meinem familiären Umfeld, dass ich mich nochmal für eine Weiterbildung entschieden habe, lässt mich durchhalten und weitermachen.

Der Winter kommt, die Monate ziehen vorüber. Die Abschlussarbeit steht an. Mein persönlicher Endgegner! Entweder er fällt oder ich.

Ich erkundige mich bei einigen "Mitschülern" die schon mehrere Arbeiten hinter sich haben und hole mir Tipps. Es gibt auch hier strikte Vorgaben wieviel Wörter die Arbeit haben muss und max. haben darf. Welcher Zitierstandard gewählt werden muss und und und. Ich sehe vor mir einen Riesenslalom mit sehr vielen Toren die ich umfahren muss.

Mit meinem Professor, der meine Arbeit schlussendlich bewertet und entscheidet ob ich bestehe oder nicht, kann ich mich vorab noch austauschen. War sehr wertvoll und habe auch hier nochmal aufbauende Worte und Tipps erhalten.

Schule ist nun offiziell vorbei, der Abgabetermin für die Abschlussarbeit steht. Diese muss spezifisch auf meine Arbeitsstelle ausgerichtet sein. Ich schätze meinen Aufwand auf etwas über 70 Stunden und meine Themenanalyse maile ich vorab meinem Professor. Diese wird durchgewunken, somit also schon mal der erste Schritt in die richtige Richtung.

Wochenende für Wochenende knie ich mich rein und überschreite meine 70 Stunden natürlich ums Doppelte. Hab ständig das Gefühl nicht auf Kurs zu sein, möchte alles noch genauer, noch besser erklären und aufschlüsseln. In unserer WhatsApp Gruppe sind einige bereits fertig und haben abgegeben. Mein Druck erhöht sich und ich hab das Gefühl, noch überhaupt keine Fahnenstange zu sehen. Ich mache ein komplettes Wochenende gar nichts um meine Birne zu lüften. Die letzten beiden Wochenenden vor Abgabetermin stehen vor der Tür. Endspurt!

Ich lese meine bisherige Arbeit durch und bin erneut am Zweifeln, ob das alles wirklich so ist wie es nach Vorgaben sein sollte. Aber der Faktor Zeit lässt kein "nochmal zurück auf Start" zu, also betreib ich eigentlich nur noch Finetuning.

3-4 Leute haben sich auch angeboten, meine Arbeit zu lesen, aber habe bei allen dankend abgewunken. Das hätte mich nur noch mehr irritiert oder beeinflusst.

Tag X steht. Ich maile meine Arbeit dem Professor und hoffe nur, dass ich einfach durchkomme. Die Note war mir egal, Hauptsache bestanden. Jetzt kommt die schlimmste Zeit: Warten aufs Ergebnis. Bis zu 4 Wochen kann es dauern.

Nach ca. 2 Wochen seh ich den Namen des Profs in meinem Postfach. Ich krieg dezent Puls und direkt beim Öffnen der Mail, schweifen meine Augen ans Ende der Mail. Ich möchte nur lesen "bestanden" oder "nicht bestanden".

Dummerweise steht dann da aber direkt die Note und es ist tatsächlich eine 6.0
(in der Schweiz ist die 1 schlechteste und die 6 die Bestnote / nur bevor mich jetzt jemand bemitleidet :-D)

Im Anhang war auch noch der 2-seitige Bewertungsbericht, welcher spezifisch auf die einzelnen Vorgabekriterien eingeht. Da stand einfach nur durchgehend: Hervorragend.

Und mir Held fällt nichts anderes ein, als dem Prof. zu schreiben, ob es sich hierbei wirklich um meine eingereichte Arbeit handelt :-D
Der hats mit Humor genommen, erneut bestätigt und mich gefragt, ob er es sich sonst nochmal ansehen sollte?

Kanns zwar immer noch nicht so richtig glauben und will mich hier auch absolut nicht selbst beweihräuchern, aber mir hat dies doch wieder ein paar Sachen aufgezeigt:

Man kann viel erreichen wenn man es denn will und auch durchzieht. Vielleicht sollte ich mir auch mal öfters etwas mehr zutrauen und sich nicht immer kleiner machen als man ist.

Man merkt das Alter. Lernen geht nicht mehr so leicht wie noch vor 30 Jahren, aber es ist nicht unmöglich.

Und für mich endet nun das Kapitel Schule dann auch schon wieder.

Es war eine Erfahrung, habe viel (auch über mich) gelernt. Aber einen Zertifikats Marathon überlass ich dann doch lieber den wirklichen Studis. Ich wars nie, werds auch nie sein, aber immerhin hab ich mal eine Bestleistung abrufen können :-)

Danke fürs "Zuhören".


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