Thema:
Re:Seid ihr eigentlich gläubig? flat
Autor: Kola
Datum:23.04.25 14:18
Antwort auf:Seid ihr eigentlich gläubig? von Hanfling

Ich muss bei dieser Frage immer unweigerlich an ein Interview von Martin Rees denken. Er geht so herrlich entspannt an das Thema heran.

"Zur Person

Martin John Rees, Baron Rees of Ludlow, ist 79 Jahre alt. Seine akademischen Ehren sprengen jede Vorstellung: Er hat über 500 wissenschaftliche Publikationen verfasst, ihm wurde 27-mal der Doktor ehrenhalber verliehen. Er war Präsident der traditionsreichen Royal Society, Master des Trinity College in Cambridge, hatte diverse ehrwürdige Professuren inne, ist königlicher Astronom und sitzt, da er von der Queen zum Lord auf Lebenszeit ernannt worden ist, im House of Lords. Eines seiner Talente besteht darin, ganz normalen Menschen erklären zu können, woher wir kommen und wohin wir gehen."


ZEIT Sinn: Wenn das Universum 13,8 Milliarden Jahre alt ist, erscheint die Menschheitsgeschichte als ziemlich kurz. Ein einzelnes Menschenleben ist nur ein Wimpernschlag und für das Schicksal des Kosmos unbedeutend. Wie kann es einem Menschen da gelingen, einen Sinn in seinem Leben zu finden?

Rees: Ob die Menschheit unbedeutend ist oder nicht, hängt wesentlich von der Frage ab, ob es im All sonst noch irgendwo intelligentes Leben gibt. Es ist gut möglich, dass es nur hier auf der Erde Wesen gibt, die sich ihrer selbst und ihrer Geschichte bewusst sind. Wären wir die Einzigen, wären wir unwahrscheinlich wertvoll. Sie müssen auch bedenken, dass für uns Astronomen die Zukunft länger ist als die Vergangenheit.

ZEIT Sinn: Was bedeutet das?

Rees: Es brauchte vier Milliarden Jahre, bis der Mensch zu dem wurde, was er heute ist. Viele Leute denken, dass wir der Höhepunkt der Evolution sind. Aber wir sind nicht mal auf der Hälfte der Evolutionsgeschichte angekommen. Unsere Sonne hat noch mehrere Milliarden Jahre vor sich, bis sie ausbrennt. Und das Universum existiert womöglich bis in alle Ewigkeit. Wenn wir die einzigen intelligenten Lebewesen wären, könnte es hier zukünftig posthumane Wesen geben, die sich in der ganzen Galaxie verbreiten. Wenn wir aber so wertvoll sind, müssen wir unbedingt dafür sorgen, dass wir das Leben hier nicht auslöschen.

ZEIT Sinn: Sie sind Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Ist die Kirche nicht der Erzfeind des wissenschaftlichen Fortschritts?

Rees: Allein die Existenz der Akademie ist doch ein Gegenargument. Sie hat Mitglieder aller Glaubensrichtungen und auch Atheisten sind darunter. Die Akademie hat im Jahr 2014 ein Treffen organisiert, bei dem es um die Klimarettung ging. Dieser Input steckt in der päpstlichen Umwelt-Enzyklika "Laudato si". Der Papst bekam damit Standing Ovations vor der UN-Vollversammlung. Ich denke, dass die Einigung des Pariser Klimagipfels 2015 ohne die Enzyklika nicht möglich gewesen wäre. Die Akademie beschäftigt sich auch mit künstlicher Intelligenz und der Frage, wann ein Mensch wirklich tot ist.

ZEIT Sinn: Sie selbst bezeichnen sich als praktizierenden Christen, der aber nicht glaubt.

Rees: Ich äußere mich nicht zu theologischen Fragen, ich bin sehr dafür, dass man nicht in andere Fachrichtungen reinpfuscht. Was Gott betrifft, so sage ich immer: Ein Atom ist schon schwer zu verstehen, daher halte ich es für unwahrscheinlich, dass irgendjemand ein komplettes Verständnis irgendeines Teils der Realität besitzt. Wir haben nur ein unvollständiges, metaphorisches Verständnis der Wirklichkeit. Dennoch unterstütze ich die anglikanische Kirche, ich bin so aufgewachsen. Ich genieße schöne Kirchenarchitektur und Musik. Wäre ich allerdings im Nahen Osten geboren, ginge ich eben in eine Moschee.

ZEIT Sinn: Heißt das, Sie gehen in den Gottesdienst?

Rees: Ja, wir haben in Cambridge wundervolle Chöre in allen Colleges. Ich nehme am Ritus teil. Aber für jemanden wie mich, der eher die Tradition der Religion wertschätzt, ist es besser, wenn die Liturgie nicht in der Volkssprache stattfindet. Die beste Variante für mich ist griechisch-orthodox. Da verstehe ich kein Wort. Wenn die Liturgie auf Englisch ist, denke ich: Wie können die alle diesen Nonsens glauben?

ZEIT Sinn: In Ihrem jüngsten Buch, das "Unsere Zukunft" heißt, beschreiben Sie einen Physiker, der die Auferstehung Christi physikalisch erklären wollte. Wie hat er das gemacht?

Rees: Das ist etwas exzentrisch, sogar für theologische Standards. Er dachte, dass sich die ganze Welt irgendwann in einen anderen Realitätszustand umwandeln würde – und die Auferstehung Jesu war für ihn sozusagen ein einzelner Vorläufer dieses Ereignisses. Der Mann war ein Prof von mir. Er wurde dann Kleriker.

ZEIT Sinn: Wenn unser Stern, wenn die Sonne erlischt, wird es Menschen geben, das zu bezeugen?

Rees: Intelligente Wesen, ja. Aber ich glaube, das werden keine Menschen sein. Ich habe keine Ahnung, wer es sein wird. Wir selbst bestehen aus den Atomen von Sternen wie der Sonne, die vor langer Zeit gestorben sind.

ZEIT Sinn: Das ist ein poetischer Gedanke. Ich bestehe aus Atomen, die aus allen Ecken des Universums irgendwann hierhergekommen sind.

Rees: Sie sind Sternenstaub. Weniger romantisch gesagt: Sie sind nuklearer Abfall.


Das gesamte Interview: [https://www.zeit.de/2021/44/martin-rees-astronom-ausserirdische-sterne-cambridge?freebie=5d776013]


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