Thema:
Re:Interessanter Thread flat
Autor: FS
Datum:28.04.25 17:42
Antwort auf:Re:Interessanter Thread von Jassi

>Ganz bekanntes Beispiel ist Francis Collins, der das Humangenomprojekt leitete und dann vom Atheisten zum Gläubigen wurde.

Dann nehme ich den mal stellvertretend und bringe meine Gegenargumente. Hier die 4. Hauptgründe, die Collins für seinen Gottesglauben aufführt:

1. Die Existenz eines moralischen Gesetzes:
Collins empfand die Existenz eines universellen moralischen Empfindens, also eines grundlegenden Verständnisses von "richtig" und "falsch", das in allen Kulturen ähnlich auftritt, als Hinweis auf eine Quelle außerhalb des rein natürlichen Universums. Er argumentierte, dass evolutionäre Mechanismen zwar viele Eigenschaften erklären können, die Existenz eines objektiven moralischen Gesetzes aber schwer allein durch Evolution erklärbar sei. Für ihn deutete diese Moral auf die Existenz eines moralischen Gesetzgebers hin: Gott.

Meine Gegenargumente:

Viele Verhaltensweisen, die wir als moralisch interpretieren könnten, finden sich auch im Tierreich. Beispiele sind:

- Wölfe und andere soziale Tiere, die Regeln im Rudel einhalten.
- Primaten wie Bonobos, die Konflikte durch Versöhnung und Kompromisse lösen.
- Delfine, Elefanten oder Vögel, die sich gegenseitig helfen und sogar komplexes Trauerverhalten zeigen.
- Schimpansinen, die Bündnisse bilden, um sich gegen tyrannisch verhaltende männliche Schimpansen auflehnen. Sie haben also einen Sinn für das, was gut und böse ist.
- Regeln selbst im Kampf zwischen Tieren. Bei Rangordnungskämpfen töten sich Tiere nur sehr selten, sie belassen es üblicherweise bei einem verletzungsarmen Kräfte- und Größenmessen, auch wenn sie den Gegner schwer verletzen oder töten könnten. Aber auch da gibt es Ausnahmen, was darauf hinweist, dass sie in Lage wären diese Regeln zu brechen und diese kein festgebrannter Automatismus sind.

Das spricht dafür, dass moralische Grundlagen ein evolutionäres Produkt sozialer Intelligenz und Kooperation sind. Biologische Mechanismen also, nicht notwendigerweise göttliche Eingebung. Die Evolution könnte solche Regeln hervorgebracht haben, weil Gruppen mit kooperativem Verhalten überlebensfähiger sind als solche ohne.

2. Die Erfahrung von Schönheit, Liebe und Selbstlosigkeit:
Collins sah Dinge wie menschliche Selbstaufopferung, Liebe und die Fähigkeit, Schönheit (zum Beispiel in Musik oder Natur) tief zu empfinden, als Hinweise darauf, dass der Mensch mehr ist als nur ein Produkt zufälliger evolutionärer Prozesse.

Mein Gegenargument:

Tiere zeigen klare Präferenzen (z.B. Gesangswahl bei Vögeln, Haustiere haben Lieblingsspielzeuge, Lieblingsfernsehsendungen, Lieblingsmusik oder Spiele oder bevorzugen gewisse Orte oder Gegenstände). Ob das mit dem Wort "Schönheitsempfinden" gleichgesetzt werden kann, will ich nicht sagen, es zeigt aber die Fähigkeit Präferenzen zu entwickeln.

Partnerbindungen können sehr stark und über Jahre hinausgehen. Gerade bei Vögeln ist das oftmals sehr intensiv ausgeprägt. Da leben Vogelpaare über Jahre zusammen, selbst wenn sie keine Eier mehr legen.

Selbstlose Handlungen wie das Verteidigen der Jungen unter Risiko des eigenen Lebens sind in der Natur verbreitet.

Was wir als rein menschliche Emotionen oder Sinneswahrnehmungen interpretieren, scheint biologische Wurzeln zu haben und ist nicht exklusiv menschlich. Die Aussage "Weil wir Schönheit erleben, muss es einen Gott geben" ist für mich kein logischer Schluss, sondern eine persönliche Deutung.

3. Die Grenzen der Naturwissenschaft:
Obwohl er die Naturwissenschaft als äußerst kraftvolles Mittel zur Erklärung der physischen Welt anerkannte, glaubte er, dass Wissenschaft nicht alle wesentlichen Fragen beantworten kann, insbesondere nicht die über Sinn, Moral und den Ursprung des Universums selbst.

Mein Gegenargument:
Das Universum hat keine Verpflichtung a) einen Sinn zu haben b) ein Ziel zu verfolgen oder c) dem Menschen gegenüber Sinn zu machen. Das sind Wünsche, aber keine Beweise. Ursprung des Universums ist ein Grenzbereich der Physik. Überall dort Gott einzufügen, wo man noch nichts Definitives sagen kann (God of the gaps) ist in meinen Augen recht billig und gegenüber einem theoretischen Gott auch recht respektlos. Zudem bleibt dann weiter die Frage: Wer schuf Gott und auf die Antwort die Frage: Und vorher kommt das? Die Frage ist fast paradox und im Grenzbereich sowohl in Religion als auch Wissenschaft. Ein großes Fragezeichen, bei dem die Wissenschaft aber zumindest ein paar theoretische Antworten in der Quantenphysik hat.

4. Einfluss von C. S. Lewis:
Collins' intellektuelle Reise wurde stark von der Lektüre von "Mere Christianity" beeinflusst. Lewis argumentiert darin ähnlich, dass moralische Gesetze auf einen göttlichen Urheber hinweisen. Collins fand diese Argumente überzeugend, nachdem er als Arzt auch tiefes menschliches Leid miterlebt hatte, das ihn zwang, über Leben, Tod und Sinn nachzudenken.

Mein Gegenargument:

Hier sehe ich den Kerngrund für seinen Wandel. Menschen in existenzieller Not (Tod, Krankheit, Verlust) sind oft empfänglicher für metaphysische Erklärungen und religiösen Glauben. Psychologisch gesehen bietet Glaube an einen Gott oder ein Leben nach dem Tod Sinn, Hoffnung und Ordnung in einem als chaotischen oder grausam und kalt empfundenen Universum. Collins selbst gibt in seinen Erzählungen tatsächlich zu, dass er durch Konfrontation mit Tod und Leid (als Arzt) seine bis dahin atheistische Haltung zu hinterfragen begann. Das spricht dafür, dass emotionale Bedürfnisse durchaus eine Rolle spielten und er sich nicht nur auf Evidenz stützt, sondern auch auf emotionale Wünsche seine Entscheidung beeinflusst haben.

Das war jetzt aber ne Menge Text.


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