Thema:
Damals: Mythos "Lernen mit dem Computer" , wer kennt's? flat
Autor: Guy
Datum:30.04.25 20:32
Antwort auf:Dinge, die ihr schon immer mal erklärt haben wolltet 205 von Jassi

Mein Vater (Arzt) erzählte damals, als ich (Einzelkind) so ca. 10 Jahre alt war, mal beim Mittagessen:
"Heute war ein Vertreter bei mir, der hat erzählt es gibt bei Aldi jetzt Computer.
Er hat seinem Sohn einen gekauft, der nutzt den auch für die Schule, wäre das nicht auch was für Dich?"
Ich natürlich Feuer und Flamme, KLAR!!

Also paar Tage später das Ding angeschafft:
War ein Commodore Plus 4, zu der Zeit schon hoffnungslos veraltet, wusste ich aber da noch nicht, da ich bis dahin nur bei nem Kumpel mal Spiele auf nem Atari 2600 gespielt hatte (was natürlich auch das war, was mich zu dem Zeitpunkt an Computern am meisten reizte) und mir mit der Kiste hier natürlich Ähnliches erhoffte.
Außerdem lief ein paar Wochen zuvor der Film War Games im Fernsehen und ich dachte, man könne mit einem Computer so sprechen und interagieren, wie Matthew Broderick dort.

Natürlich folgten dann direkt mehrere Ernüchterungen:
- kaum Spiele
- Ladezeiten aus der Hölle, dank Datasette
- man muss Programmiersprachen lernen, um selber was auf die Beine stellen zu können
- was man mit dem Ding für die Schule machen können soll, erschloss sich mir nicht

In der Schule davon erzählt (wo zu dem Zeitpunkt nur wenige deutlich mehr Ahnung von Computern hatten als ich, meistens wenn sie größere Brüder hatten, die da schon mehr im Thema waren) kam als Erstes "Du brauchst nen Floppy, ohne kannste das eh vergessen!"
Ich verstand nur Bahnhof und erzählte das Mittags beim Essen meinen Eltern, nachdem sie fragten, was denn die Kumpels in der Schule gesagt hätten, als ich erzählt habe, dass wir nun auch nen Computer haben: "Die haben gesagt ich brauch auf jeden Fall nen Floppy!"
Dieser Moment war für mich einer der wichtigsten Moments of Initiation in meinem Leben (und der erste überhaupt, an den ich mich erinnern kann):
Dieser erstmals absolut planlose Gesichtsausdruck in den Gesichtern meiner Eltern, die sonst bisher immer alles wussten und alles konnten - sie schauten sich an, schauten mich an, schauten wieder sich an... dann sagte meine Ma zu mir:
"Mach doch erstmal mit dem, was Du jetzt hast und schau, was man damit alles anstellen kann. Nen Floppy kann man dann immer nochmal holen..."
Mir wurde schlagartig klar, dass sie, genauso wie ich, KEINE AHNUNG hatte, was zur Hölle ein Floppy sein und was er/sie/es können oder bringen soll.
Und mir war ebenso klar, dass ich von keinem von beiden erwarten brauchte, dass sie das für mich in Erfahrung bringen würden oder ich mich dahingehend auf irgendwas von deren Seite verlassen brauchte und könnte.
Erstmals in meinem Leben war ich bei einem Themengebiet auf mich alleine angewiesen.
Das war in dem Moment ebenso beängstigend, wie aufregend und faszinierend.
Dieses Gefühl war für mich das prägende Gefühl des Beginns meines persönlichen Computerzeitalters.
Und genau dieses Gefühl von Abenteuer, unbekannter neuer, mysteriöser Technologie mit ungeahnten Möglichkeiten, die die Menschheit zu völlig neuen Dingen befähigt, die heute noch gar nicht absehbar sind, kommt bei mir jedes Mal wieder hoch, wenn ich an diese gute alte Zeit (so ab 1983) zurückdenke oder entsprechende Filme aus dieser Zeit sehe (z.B. TRON).

Doch ich schweife ab - ich fing also an, mich selber ranzutasten.
Bei Geschäften, wie Photo Porst & Co. gab es für relativ kleines Geld (10-30 DM) noch Spiele für den Plus4, von denen ich mir ab und an mal eines kaufte.
Ich fing auch an, mir Computerzeitschriften zu kaufen, sowohl für Hardware (Happy Computer & Co.), als auch für Spiele (Power Play, ASM & Co.).
Ich lernte, dass es verschiedene Computer auf dem Markt gab, die untereinander nicht kompatibel waren.
Unser Radio-&Fernseh-Laden am Ort (den Besitzer kannten wir gut) postulierte ein, zwei Jahre später, als ich meinen Eltern klar gemacht hatte, dass ich mit dem Plus4 in einer Sackgasse steckte (mir gings da nur um die Spiele, erzählte aber natürlich auch, dass ich da nix für die Schule mit machen könne), er hätte MSX von Philips im Programm, super vielseitig, kann Spiele, kann Grafik, kann Text, man kann ihn für die Schule nutzen (Hurra!), hat Floppy (YEAH!!) und sogar Steckmodule (hatte ich keine Meinung zu).
Also gabs zum nächsten Geburtstag 1986 einen Philips MSX2 - mit Penguin Adventure und Vampire Killer (Castlevania), sowie kurz darauf Nemesis.
Wahnsinn, was ne Grafik, die Musik und das Gameplay bei Vampire Killer (entfachte mein Castlevania-Fandom), keine Ladezeiten, sowie ein für mich faszinierendes Grafikprogramm, der "Philips MSX Designer", mit dem ich selbst ohne Maus (war damals noch weit weg vom Mainstream) zumindest meine Kreativität am Computer ausleben konnte. Wirklich "schulisch" war das zwar auch nicht, aber immerhin eine Verbesserung. :-)

Schon ein Jahr später stellte sich aber heraus:
Es gab zwar scheinbar mehr und bessere Spiele als beim Plus4 (sowohl auf Modul, wie auch auf Diskette), abseits von unserem Laden am Ort war das Thema MSX aber quasi nicht existent.
Immer wenn wir mit der Family mal raus waren, z.B. in Innenstädten wie Dortmund, Düsseldorf & Co., wo wir dann durch die Stadt gebummelt sind und Vatter bzgl. eines neuen Spiels durchaus in Geberlaune gewesen wäre, war bei den üblichen Verdächtigen, wie Karstadt, Kaufhof, Quelle, Neckermann, Photo Porst, aber auch kleineren Computerläden, nichts von MSX-Spielen zu sehen.
Ein Mitarbeiter eines Ladens lies dann auf Nachfrage den Satz fallen, der für mich erneut eine Welt zusammenbrechen lies: "MSX? Ah ja, kenn ich, interessanter Systemansatz, hat sich nur leider überhaupt nicht durchgesetzt. Was nützt das beste Auto, wenn es keinen Sprit dafür gibt?!"
SUPER!! :-(
Zum Glück hatte mein Vatter das auch gehört.

Ich genoss dennoch erstmal weiterhin die Spiele, die ich hatte, bekam ab und an aus unserem Laden am Ort nochmal ein Neues (aus der bestehenden Auswahl, die sich auch dort nicht mehr großartig erweiterte)... stieß im Freundeskreis aber immer öfter auf eine mysteriöse Bezeichnung, die wohl der aktuell heiße Scheiß sein sollte:
"Commodore 64".
Da soll man die Spiele sogar kopieren können, die kosten also kein Geld mehr, man muss nur leere Disketten kaufen.
Die Spiele sahen bei den Freunden "anders" aus als auf dem MSX, ob besser oder schlechter konnte ich damals nicht wirklich einordnen.
Aber es waren andere Spiele, die mich sehr interessierten:
Ghosts'n Goblins, Barbarian, Test Drive... sowas gabs auf dem MSX nicht.
Auch mein Onkel (Vatters Bruder) erzählte, dass der Sohn seines Nachbarn gerade "einen richtigen Computer" bekommen hätte - einen Commodore 64, mit dem er auch "Dinge für die Schule machen" könne.
Dazu dann noch das Argument, dass Spiele "nix kosten" - und Vatter war zumindest nicht mehr abgeneigt! :-)
Er hatte nen Bekannten, der bei Quelle arbeitete und da wohl etwas im Thema war.
Der sagte ihm am Telefon "C64? Den würde ich heute nicht mehr kaufen, dessen Zeit geht gerade zu Ende. Was jetzt groß im Kommen ist, ist der Amiga 500. Da ist auch eine Maus dabei und Ihr Sohn kann das Ding auch für die Schule nutzen, sogar noch viel besser als den C64." (Da war es auch wieder!!).
Vatter natürlich begeistert.
Und obwohl ich erst auf den C64 bestand lies ich mich final 1988 zum Amiga 500 "breitschlagen", was sich natürlich dann als Jackpot erwies.
Nicht nur bekamen in der Schule noch weitere Leute das Ding (auch da wurde immer auch erzählt "für die Schule"), auch Grafik, Sound und Möglichkeiten stellten sich als Offenbarung dar!
Deluxe Paint mit Mouse - WOW!!
Die Spiele (die dann natürlich ebenfalls auf dem Schulhof "getauscht" wurden.
Und endlich gab es die Spiele, über die man in den Fachzeitschriften las, dann auch mehr oder weniger direkt für das eigene System, man konnte also quasi jedes Highlight mitnehmen.
Den Amiga behielt ich mehrere Jahre und hatte sehr viel Spaß damit.
Ich machte sogar erste Erfahrungen mit Text Editoren, Viren (lol) und Demos.
Und ich fand im Laden, beim Bummeln mit der Family, endlich ein Englisch-/Vokabelprogramm, was mein Vater mir bereitwillig kaufte, weils ja "für die Schule" war.
Dass es sich im Nachhinein als mehr oder weniger nutzlos herausstellte, weil nur einfache Vokabelabfragen, aber mit größtenteils völlig anderen Vokabeln, als wir bisher gelernt hatten (weil das Ding halt überhaupt nicht synchron mit dem Schulbuch waren, das wir benutzten), darüber wurde geflissentlich der Mantel des Schweigens gehüllt. :-)

Was ich mit den Jahren vermisste, war allerdings die "Konsolen-Komponente" des MSX2.
Weshalb erst Mega Drive und kurz darauf das Lynx meine Aufmerksamkeit erregten und Investitionen meines durch Ferienjobs & Co. erarbeiteten Geldes erfuhren - nur um zu merken, dass dem Lynx ein ähnliches Schicksal wie dem MSX beschieden war.
Game Boy und Super Nintendo, sowie dann 3DO und Playstation folgten in den Folgejahren und ersetzten zum Zocken dann schließlich den Amiga - bis Anfang 1997 dann der erste PC (mit Windows 95) folgte, weil mich dieses "Internet" reizte.

Mit Office, Photoshop, Floppy, CDs, einem Drucker und Scanner, sowie eben dem sich in den Anfängen befindlichen Public Internet hatte ich erstmals das Gefühl, einen Computer zu besitzen, der wirklich zumehr als (aber natürlich auch zu) Spielen in der Lage war - und mit dem man sicherlich auch etwas "für die Schule" hätte machen können, aus der ich da aber raus war und stattdessen beim Wehrdienst.
Nachgeholt habe ich es dann allerdings danach in meiner Lehre:
Mein Berichtsheft habe ich in Excel erstellt - und quasi automatisiert fortlaufend vervielfältigt.
Somit hatte ich damit superwenig Arbeit und bekam obendrein aus der Berufsschule viel Lob, weil sie noch nie "ein so sauber und ordentlich geführtes Berichtsheft" gesehen hatten. :-D

Nun ist der Text SEHR lang geworden und ich habe quasi meine gesamte Computer-/Konsolengeschichte erzählt (was aber auch für mich in der Retrospektive sehr interessant war).

Was ich aber eigentlich sagen und fragen wollte:
Ich habe Computer in der normalen Schulzeit, entgegen dem, was immer legendenartig rumerzählt wurde, nie wirklich zum Lernen für die Schule benutzt - und kenne auch niemanden, der das getan hat, obwohl ich sehr viele mit einem C64 oder Amiga kannte.
Mir ist bis heute nicht mal klar, was genau sich überhaupt dahinter verborgen haben soll.
Nen Drucker hatten seinerzeit die Wenigsten, Internet gab es nicht, und auch kaum mir bekannte, brauchbare Software, die sich auch nur halbwegs mit den Themen in der Schule deckte.
Gab es das wirklich, hat das einer von Euch (zu der Zeit, also ca. 1985 - 1995, mit C64, Amiga, Atari & Co) gemacht, wenn ja, wie und was genau, was hab ich verpasst?

Was ich aber definitiv habe:
Durch Computer und mit Computern viel gelernt, sowohl über Computer und Technik, als auch grundsätzlich fürs Leben:
Informationen selber beschaffen, hinterfragen, bewerten, daraus handeln.

Außerdem haben Computer, Konsolen und Unterhaltungselektronik meine technische Berufslaufbahn begründet, die im Heimkinohobby quasi kulminiert ist und alles zusammengeführt hat.
Auch wenn ich manchmal denke, "Hättest nen Beruf erlernen sollen, bei dem Du mehr Geld verdienen würdest", so könnte ich mir dennoch konkret nichts vorstellen, was ich rückblickend anders hätte machen sollen/wollen.
Aber das nur am Rande. ;-)

Thank you for smoking, ähm, reading! :-)


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