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Autor: | harukathor | ||
Datum: | 17.05.25 12:59 | ||
Antwort auf: | Gespräche in Istanbul ergebnislos beendet von Guy | ||
Ok, die Antwort wird lang, geht aber aufgrund der Komplexität kaum anders. >Das Endziel dürfte nach wie vor die Kapitulation der gesamten Ukraine sein. > Das war vor den Gesprächen in Instanbul bereits klar. Das ganze Ding war von Anfang an primär ein Schauspiel für einen einzigen Menschen auf diesem Planeten: Trump. > >Und man hat deutlich gemacht, dass man auch noch so lange zu kämpfen bereit und in der Lage wäre, was ich auch immer weniger für abwegig halte, wenn man liest, wie sehr die Produktion von Kriegsgerät in Russland schon hochgefahren wurde und noch weiter wird, während wir in Deutschland gerade mal anfangen, zu überlegen, was wir dahingehend tun wollen. > Beide Seiten haben ihre Waffenproduktion deutlich hochgefahren, doch fast alle starren wie ein panisches Schaf ausschließlich auf Russlands Kapazitäten, während die Fortschritte der Ukraine weitgehend unbeachtet bleiben. Die Ukraine produziert zum Beispiel inzwischen bis zu 36 Bohdana-Haubitzen pro Monat, inklusive Munition, und plant weitere Steigerungen. Auch bei FPV- und Kamikaze-Drohnen liegt sie vermutlich vor Russland, nicht nur in der Stückzahl, sondern auch technisch: durch modulare Bauweise, bessere Zielsteuerung und dezentrale Fertigung. Dazu kommen neue Raketensysteme wie Hrim-2 oder der Bureviy. Nach eigenen Angaben könnte die Ukraine ihre Rüstungsproduktion deutlich ausweiten, wenn die Finanzierung gesichert ist. Erste Schritte dafür laufen: Rheinmetall baut zusammen mit ukrainischen Partnern neue Kapazitäten auf. Zuerst werden Schützenpanzer instand gesetzt, später soll auch der moderne Lynx dort gefertigt werden. Eine eigene Munitionsfabrik für 155-mm-Granaten ist ebenfalls geplant. Die oft zitierten russischen Panzerzahlen sollte man dagegen vorsichtig betrachten. Sie vermischen neue und überholte Modelle aus Depots, darunter Fahrzeuge aus den 1960ern. Einige davon sind schlechter gepanzert als Schützenpanzer aus den 1980ern. Schätzungen gehen davon aus, dass nur ein paar hundert Panzer pro Jahr wirklich neu gebaut werden. Der Rest kommt aus den Depots, die immer leerer werden. Ein großer Teil der russischen Nachschubkraft basiert inzwischen auf Lieferungen aus Nordkorea und dem Iran. Diese liefern ohne Rücksicht auf die eigene Bevölkerung, was autoritäre Regime natürlich im Vorteil zeigt. Bei der Eigenproduktion priorisiert Russland derzeit Raketen und Drohnen. >Sollten irgendwann wirklich mal Trump und Putin aufeinandertreffen, bin ich mir mittlerweile ebenfalls relativ sicher, dass Trump die Abtretung der Gebiete befürworten und durchsetzen wird - "für den Frieden". Trump kann die Abtretung der Gebiete schlicht nicht durchsetzen. Um bei seiner oder Vances Rhetorik (kA mehr, wer das gesagt hat) zu bleiben: Er hat schlicht nicht die Karten, um die Ukraine zu so etwas zu zwingen. >Putin wird dann mit Sicherheit zusehen, dass er sich noch während Trumps Amtszeit (wie lang auch immer die am Ende dauern wird) den Rest der Ukraine unter den Nagel reißt - und evtl. weitere Teile Europas. Solange Europa nicht aussteigt, müsste Trump dafür bei derzeitigen Tendenzen deutlich länger als die vier Jahre an der Macht bleiben. >Das wäre das Worst Case Szenario, aktuell sieht es aber in der Tat nicht gut aus, weil wir quasi nichts entgegenzusetzen haben und uns die Druckmittel ausgehen. >Merz' optimistischem Satz (so sehr mir insgesamt die ersten Tage seiner Amtszeit in Bezug auf diesen Krieg gefallen haben) "Putin muss verstehen, dass er diesen Krieg militärisch nicht gewinnen kann" kann ich, so sehr ich es wollen würde, daher wenig Realismus abgewinnen. Militärisch betrachtet hat Merz im Kern Recht. Russland hat es trotz enormer Verluste, deutlich gesteigerter Rüstungsproduktion und Unterstützung durch Nordkorea und den Iran bislang nicht geschafft, auch nur eine der vier annektierten Oblasten vollständig unter seine Kontrolle zu bringen. Selbst in Luhansk – dem am weitesten besetzten Gebiet – hält die Ukraine seit Sommer 2022 (!) einen kleinen, aber stabilen Teil. Hier ([https://www.warmapper.org/stats]) kann man sich gut anschauen, wie "gut" die Eroberungen Russlands vorankommen und zwar sowohl gesamt als auch in den einzelnen Oblasten. Spoiler: Donetsk ist das einzige mit nennenswertem Fortschritt seit Juli 2024. Und hier ([https://en.zona.media/article/2025/04/25/casualties_eng-trl]) gibt es die über 100.000 namentlich bestätigten toten Russen, also die absolute Untergrenze ohne Ukrainer aus den besetzten Gebieten, die zahllosen Vermissten, Verwundete und vermutlich mit einer deutlichen Unterrepräsentation von rekrutierten Gefangenen. Die Ukraine kann diesen Krieg gewinnen, nicht durch Großoffensiven, aber durch das Erschöpfen der russischen militärischen und ökonomischen Kapazitäten. Verlieren kann sie ihn politisch oder finanziell, wenn der Westen zögert oder nachlässt. Russlands größte Offensive richtet sich deshalb auch nicht gegen die Ukraine, sondern gegen den Westen selbst: durch Einfluss auf Wahlen und öffentliche Meinung. Fällt die Hilfe komplett weg, endet der konventionelle Krieg wohl nach einer gewissen Zeit und wird durch gezielte Sabotage ersetzt. Der Widerstand würde dann aber voraussichtlich nicht nur in den besetzten Gebieten weitergehen, sondern sich weiter zunehmend gegen Ziele in Russland richten: Raffinerien, Bahnlinien, Energieinfrastruktur oder beispielsweise Dämme. Das könnte Russland deutlich empfindlicher treffen als ein Stellungskrieg an der Front. >Alle Experten (anerkannte, wie selbsternannte), die vor über 3 Jahren mehr als selbstbewusst ein schnelles Ende des Krieges aufgrund angeblich mangelnder Ressourcen Russlands, harter Sanktionen usw. vorausgesagt haben, wurden ja mittlerweile Lügen gestraft. Die meisten sogenannten Experten, die in den Medien zitiert wurden, waren vor allem darin geübt, öffentlich aufzutreten, nicht zwangsläufig in tiefer geopolitischer Analyse. Sie wussten, wie man mediengerecht formuliert, waren verfügbar und griffen gängige Narrative auf. Oft handelte es sich um dieselben Personen, die zuvor noch prophezeit hatten, dass die Ukraine in wenigen Tagen überrannt werde. Fachlich fundiertere Stimmen, etwa aus sicherheitspolitischen, militärischen oder nachrichtendienstlichen Kreisen, waren ebenfalls präsent, gingen in der Vielzahl an Meinungen jedoch häufig unter oder erhielten weniger Aufmerksamkeit, zumal viele damals lieber optimistische Einschätzungen hören wollten. Auch unter diesen besseren Analysten hielten manche Anfang 2022 einen Rückzug Russlands für denkbar, nicht weil sie die russischen Fähigkeiten unterschätzten, sondern weil eine Invasion der gesamten Ukraine aus ihrer Sicht strategischer Selbstmord gewesen wäre. Diese Logik war aus westlicher Sicht rational, aber sie hat Putins Eskalationsbereitschaft unterschätzt. Als diese sichtbar wurde, korrigierten viele ihre Einschätzung und gingen davon aus, dass Russland diesen Krieg durchaus mehrere Jahre durchhalten kann. Was hingegen kaum jemand glaubhaft vertreten hat, weder in Fachkreisen noch unter ernstzunehmenden Beobachtern, war die Vorstellung, dass Russland militärisch oder wirtschaftlich bereits 2022 oder 2023 zusammenbrechen würde. Dass dieser Krieg lang, zäh und teuer wird, war auch damals bereits vielen klar. Nur wollte das nicht jeder hören. >Die Realität ist, unsere (westliche) Wirtschaft leidet ebenfalls sehr stark, alles wird teurer, es sieht nicht gut aus. >Sicherlich nicht nur wg. Russland (u.a. auch wg. Trump - schließt sich da evtl. ein Kreis?), aber es ist auf jeden Fall auch ein Faktor. Russlands Angriff auf die Ukraine war zusammen mit den Folgen von COVID ein wichtiger Auslöser für wirtschaftliche Turbulenzen. Heute sind aber andere Dinge entscheidend: Fachkräftemangel, ein wirtschaftlicher Umbruch, hohe Energiepreise (die längst nicht mehr nur mit Russland zu tun haben), unterbrochene Handelsströme, Inflation durch Geldpolitik und auch klimabedingte Ernteausfälle und Extremwetter. Russland bleibt ein Unsicherheitsfaktor, aber nicht der Hauptgrund für die Preisentwicklung. >Russland hält sich hingegen erstaunlich wacker, muss sich halt auch keine Sorgen über die Zufriedenheit seines eigenen Volkes machen, wir schreien da viel lauter, wenn uns Wohlstand genommen wird (den's in Russland eh für die meisten kaum gibt), was ja aktuell passiert, Tendenz eher schlechter als besser. Moskau und St. Petersburg halten sich vergleichsweise stabil, wie schon Ende der 1980er Jahre vor dem Zerfall der Sowjetunion. Auch heute werden sie vom Kreml gezielt gegenüber der wirtschaftlich schwächeren Peripherie bevorzugt. Staatliche Investitionen und Infrastrukturprojekte konzentrieren sich auf diese beiden Städte. Supermärkte sind besser bestückt, Stromausfälle oder Versorgungslücken treten selten auf, und selbst kulturelle Angebote bleiben weitgehend erhalten, was in vielen anderen Regionen längst nicht mehr der Fall ist. Gleichzeitig zeigen sich selbst in den Metropolen zunehmende Risse: steigende Preise, sinkende Verfügbarkeit moderner Technik, eine schleichende Entwertung der medizinischen Versorgung und eine Infrastruktur, die vielerorts sichtbar altert. Immer häufiger kommt es zu Strom- oder Heizungsausfällen in den Vorstädten, Rohrbrüche legen ganze Straßenzüge lahm, und der Zustand öffentlicher Gebäude verschlechtert sich zunehmend. Ursache ist einerseits ein akuter Fachkräftemangel, andererseits aber auch der Rückzug westlicher Firmen. So wurden beispielsweise zahlreiche Gebäude passgenau um Siemens-Aufzüge herum geplant, die inzwischen nicht mehr gewartet werden können. Russland ist bekannt dafür, nach außen ein Bild von Stabilität zu erzeugen, das mit der Realität wenig zu tun hat, sei es durch geschönte Wirtschaftsdaten, das Verschweigen von Kriegsverlusten oder inszenierte mediale Normalität. Die Metapher vom Potemkinschen Dorf ist hier nicht zufällig entstanden. Sie beschreibt treffend, wie mit erheblichem Aufwand eine Fassade aufrechterhalten wird, während große Teile des Landes wirtschaftlich, infrastrukturell und gesellschaftlich zunehmend erodieren. Die finanziellen Spielräume werden zudem immer enger. Schätzungen zufolge könnten die verbliebenen Rücklagen bereits im Laufe des kommenden Jahres aufgebraucht sein, während die laufenden Staatseinnahmen längst nicht ausreichen, um Krieg, Subventionen und Infrastruktur gleichzeitig zu finanzieren. Paradoxerweise hofft Russland derzeit vermutlich auf sinkende Ölpreise, nicht um kurzfristig mehr Einnahmen zu erzielen, sondern um die kostensensible US-Ölindustrie aus dem Markt zu drängen. Das Kalkül dahinter: Wenn genug Anbieter verdrängt werden, könnte anschließend eine Angebotsverknappung folgen, die die Preise wieder steigen lässt. Doch selbst diese Hoffnung basiert auf einem zunehmend riskanten Spiel mit begrenzten wirtschaftlichen Optionen. |
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