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| Autor: | Guy | ||
| Datum: | 03.08.25 07:48 | ||
| Antwort auf: | Re:JD.com steigt bei Mediamarkt/Saturn ein. von Pascal Parvex | ||
>Das Pendel schwingt eben immer zurück. Jahrzehntelang wurden die Kunden vom Handel abgezockt, 30 für eine CD aus Plastik, 120 für eine Levis, welche original in den Staaten nur 25 kostet, die Schraube für 1, welche im Einkauf noch nicht mal 0.03 kostet. Dann kam das Internet mit dem Preisvergleich, die Leute hatten die Faxen dicke, und sind nicht mehr bereit, auch nur moderate Margen zu bezahlen. Auch wenn ich den Gedankengang, der zu Deinem Grundeindruck führt, aus Sicht eines Außenstehenden evtl. erstmal sogar im Ansatz nachvollziehen kann, drehen sich mir bei derart lapidaren und kurzsichtigen Stammtisch-Eskapaden nicht nur die Augen, sondern auch der Magen um, weil viel zu einfach, einseitig und letztlich naiv gedacht, sorry. Das fängt schon damit an, die alleinige "Schuld" für den damals "unverschämten" Preis von 30,- DM (lol) für eine CD den Händlern in die Schuhe zu schieben. Auch heute werden eigentlich so gut wie alle Waren um ein Vielfaches teurer verkauft, als sie produziert werden - was ein stückweit auch in der Natur der Sache liegt, es müssen Leute davon leben, wir leben schließlich nicht im Schlaraffenland, wo einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Bestes Beispiel ist wohl Lego (das in der Herstellung im Verhältnis zum Verkaufspreis so gut wie gar nichts kostet). Da sind die Preise seit "früher" explodiert - und die Teilequalität hat stark abgenommen. Nur dass die Händler mittlerweile faktisch in den meisten Fällen so gut wie gar nichts mehr dran verdienen, der Konzern selber dafür umso mehr, wie die Bilanzen seit vielen Jahren zeigen. Dasselbe bei Firmen wie Samsung, Apple & Co. Lediglich Händler wie (oder eigentlich quasi nur) Amazon können mittlerweile aufgrund ihrer Marktmacht und Dumpinglöhnen (mit vielen Arbeitskräften aus dem Ostblock oder gar Verlagerung der Logistikzentren dorthin) mit Knebelverträgen bei ihren Lieferanten nach dem Motto "Price it aggressively and go for Volume" vorgehen, verdrängen dadurch und nicht zuletzt durch Steuertricks den Wettbewerb und sacken sich die Kohle ein. Durch all das fließt immer mehr Geld in immer weniger Taschen. Immer mehr Menschen verdienen immer weniger Geld, die Kaufkraft sinkt, immer weniger Konzerne werden immer mächtiger - und können dann (wieder?) immer mehr die Preise diktieren (weil sie "die Faxen dicke" haben von Billigheimer-Kunden - da schwingt Dein "Pendel" dann erneut zurück). Ein Teufelskreis. Somit zocken Dich nun nicht mehr stationäre Händler in der Nachbarschaft und in privater Hand (mit dessen Kindern Deine Kinder evtl. sogar zur Schule gehen), sondern ein paar wenige, meist ausländische, anonyme Großkonzerne (umso mehr und z.T. ohne dass Du's merkst), ab, deren Gewinne zu einem großen Teil nichtmal in Deutschland verbleiben (und dort Kaufkraft erzeugen) sondern ins Ausland (bald dann schlimmstenfalls nach China) abwandern. Ist das gut/besser (für Kunden wie auch für Mitarbeiter und für den Wettbewerb, für den Standort Deutschland), ist das fair in Deinen Augen, sind das keine "Faxen"? Wenn KI immer mehr in viele Bereiche einzieht und viele Menschen dadurch ihren Job verlieren könnte man Deine Argumentation auch dort anbringen: "Jahrzehntelang wurden die Arbeitgeber von den Arbeitnehmern abgezockt. 3000, 5000, 7000, 10.000 Euro oder noch mehr im Monat für nen Job, den eine KI für einen Bruchteil davon besser erledigt, sich nie beschwert, keinen Urlaub braucht, nicht krank wird, viel besser planbar ist. Seitdem haben Arbeitgeber die Faxen dicke und sind nicht mehr bereit, auch nur moderate Gehälter zu bezahlen." Gerade Amazon, die eh schon auf Billiglöhne setzen und ihre Mitarbeiter (genau wie ihre Lieferanten) ein gutes Stück ausbeuten und ausquetschen, wird dafür ein großer Kanditat sein. Aber Hauptsache Herrn Bezos geht's gut! Das wird noch alles sehr "interessant" werden. Ich bestelle selber sehr viel gezielt im Internet (und ja, auch bei Amazon). Ich war aber auch immer jemand, der gerne durch Fußgängerzonen und Läden geschlendert ist und auch dort was gekauft hat. Gerade auch bei Dingen, wo ich eine Beratung brauche, Sachen anprobieren möchte, mir Dinge zuvor ansehen oder anfassen möchte oder einfach JETZT schnell etwas brauche. Ich bin aber auch jemand, dem klar ist, dass dies für die Betreiber alles Kosten verursacht, weshalb ich im Laden entweder bewusst und gerne mehr bezahle (und dann auch nicht rumfeilsche), gerade auch wenn ich Beratung oder einen anderen der o.g. Vorteile des stationären Handels in Anspruch nehme. Fände es sehr schade, wenn es das in Zukunft gar nicht mehr geben würde und kann ein solch egoistisches "Ich gönne denen mittlerweile nichtmal mehr das Schwarze unterm Fingernagel"-Gehabe in keinster Weise nachvollziehen. Wenigstens sollten solche Menschen dann so fair sein, in solchen Läden auch keinem Mitarbeiter mehr die Zeit zu klauen (geschweige denn eine Beratung), am besten gar nicht mehr reinzugehen, weil ist ja eh alles abzockerische, nutz- und sinnlose Scheiße ohne Existenzberechtigung. Auch ich bin übrigens kein Großverdiener und muss ebenfalls hart für meine paar Kröten (die Leute wie Du mir scheinbar - oder anscheinend? - nicht mal gönnen, denn ich arbeite im Einzelhandel) malochen. Ich verstehe, dass niemand etwas zu verschenken hat und jeder fair behandelt werden möchte. Das gilt aber eben für alle Beteiligten. Und die Aufteilung von Marge/Gewinn/Vorteil zwischen Hersteller/Händler/Kunde ist objektiv mittlerweile einfach nicht mehr gesund, das Geld, das zirkuliert, teilt sich zu ungleichmäßig neu auf - und daran sind nicht die stationären Händler, sondern die Großkonzerne Schuld. "Wir wurden jahrelang aufs Unfairste abgezockt und jetzt geschieht es jedem, der teurer ist als der billigste Netzanbieter, ganz egal was sonst noch dahinter steckt, recht, dass er den Bach runtergeht" ist IMO daher - no offense - an Kleingeistigkeit schwer zu überbieten. Auch vor dem Internet gab es einen Wettbewerb in den entsprechenden Handels- und Dienstleistungsbranchen, jeder konnte verschiedene Angebote einholen sich am Ende frei entscheiden. Da konnten die Inhaber (und eben nicht nur einer, wie heute Bezos) aber eben davon leben. Der Besitzer des Elektro- oder Spielzeuggeschäftes, konnte sich ein Haus und ein Auto leisten, seinen Kindern den Gitarrenkurs und das Super Nintendo bezahlen und mit seiner Family ein bis zweimal im Jahr in den Urlaub fliegen. Wenn einem selbstständigen Unternehmer in einem (noch) nicht gerade armen Land wie Deutschland heute nicht mal mehr das vergönnt ist und schon als "Abzocke" bezeichnet wird, weiß ich auch nicht, wie es um ein persönliches Weltbild, das sich nicht nur um einen selber dreht, bestellt sein muss. Disclaimer: Es geht mir hier gar nicht um einen persönlichen Angriff gegen Dich. Grundsätzliche und verallgemeinernde Aussagen wie "Jahrzehntelang wurden die Kunden vom Handel abgezockt, dann kam das Internet mit dem Preisvergleich, die Leute hatten die Faxen dicke, und sind nicht mehr bereit, auch nur moderate Margen zu bezahlen" fasse ich als jemand, der im "Handel" arbeitet und in Sachen Beratungs- und Servicequalität in meinem Metier durchaus idealistisch unterwegs war, aber, selbst wenn ich noch so sehr versuche, mich dagegen zu sträuben, als einen solchen auf. Dann brauchen sich die Kunden nämlich auch nicht wundern, wenn das Einkaufserlebis keines mehr ist. Welche Motivation könnte irgendein Dienstleistungsgewerbe (und dessen Mitarbeiter), sei es Handel, Service, Gastronomie oder Hotellerie, haben, dem (selbst unangenehmsten) Kunden möglichst in den Arsch zu kriechen und sich teilweise gar von ihm erniedrigen zu lassen, außer noch einer halbwegs anständigen Bezahlung? Ist höchstwahrscheinlich dieselbe Motovstion, wegen der auch Du Deinen Job ausübst. Ansonsten werfe den ersten Stein und arbeite für umsonst! Leben und leben lassen sollte doch, wie überall, das Motto sein. Ist zumindest meines. |
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