Thema:
Re:Familie flat
Autor: Pfombo
Datum:11.10.25 22:09
Antwort auf:Familie von pacmanamcap

>Klingt für mich schlüssig.
>
>Nebeneinander sind Geschwister und Mitschüler.
>Darüber in der Hierarchie Eltern, Familie. Darüber das Dorf, Freundeskreis.
>Darüber wiederum die Stadt, das Land, die Gegend.
>
>Das macht viel Sinn.
>Das Bild vom Übereinander kann man da sehr gut hernehmen, um weiterzublicken. Bei nur nebeneinander sieht man nur direkt angrenzendes.
>
>gesendet mit m!client für iOS


Ach hier wollte ich ja auch noch ma drauf antworten. Ja, das ist meine Sicht. Das sind alles Kollektive oder Gruppen mit eigenen Regeln, internen Hierarchien und Normen, und jede dieser Einheiten haben sozusagen nebengelagerte, gleichwertige Nachbareinheiten. Familie = Familie. Diese Einheiten organisieren sich aber wieder in größeren Gruppen, Dorf oder Gemeinde könnte die nächst größere Gruppe bzw Box sein. Usw usf.

Mit jeder Box kommt aber auch ne Kollektividentität. Ich habe eine Familienidentität, eine Geschlechtsidentität, eine Herkunftsortidentität, eine Landkreisidentität, eine Bundeslandidentität, eine Nationalidentität, aktuell sogar noch eine konfessionelle Identität, und wat weiß ich noch wie viele mehr.

Wenn jetzt auf einer oder gar mehrerer dieser hierarchischen Identitätsebenen jemand sagt: ALLE die mit dieser oder jener Identität sind scheiße, dann werd ich entweder sauer, oder verurteile mich dafür. Also ich lehne dieses Urteil ab, oder nehme es an.

Der Witz is aber: Woher weiß derjenige, der diese "absolute" ALLE-Aussage trifft, denn überhaupt irgendwas über mich als Individuum? Was weiß der denn? Und über welche zeitliche Variante meines Ichs weiß der was? Ich vor 20 Jahren, ich vor 10 Jahren, ich vor einem Jahr, ich gestern... Nix weiß derjenige. Und das ist die Wahrheit. Wir wissen - relational zur Menge der Gedanken, der Prägung, der Erfahrungen, der Gefühle einzelner Menschen - nahezu nix übereinander. Ein exaktes Urteil ist unmöglich.

Worüber man aber viel weiß, sind objektive, wissenschaftlich Bewiesene Fakten über Menschen, ihr Denken, ihre Sprache, ihre Grundbedürfnisse, ihre Wünsche, ihre Ängste, und auch über ihre Denkfehler.

Der Fehler des Individuums ist dann halt, zu glauben zu wissen. Etwas über sich und über die anderen zu wissen. Und wenn dann auf diesen unendlich vielen, verästelten Ebenen irgendwer sagt "Ich weiß wie's is, weil soundso", dann kann der eigentlich nur unrecht haben. Bestenfalls hat er sich eine plausible Kausalkette zurechtgelegt, die nicht falsch ist. Aber sie ist nicht die einzig wahre, sondern eine von extrem vielen.

Deswegen finde ich es zumindest einfacher, sich ganz subjektunabhängig Faktoren anzuschauen, die Kreisläufe aufrechterhalten oder Kreisläufe unterbrechen, schädliche Kreisläufe wie gute Kreisläufe. Bei Diskussionen fiel mir zumindest (vor gut nem Jahr) sehr schnell auf, dass kaum jemand in Wahrscheinlichkeiten oder Nuancen redet. Und dass ich das auch manchmal nicht tue. Man hinterfragt das kaum, weil "ist halt so, machen ja alle". Da, schon wieder: Alle, niemand, immer, niemals, wird, ist, war... kaum etwas wird weich formuliert, sondern meistens hart. Und kaum wer traut sich zu fragen, warum etwas ist, war, wird etc.

Das ist rein logisch komplett kontraintuitiv. Wieso weiß jeder alles??? Echtes Wissen müsste doch von allen verstanden werden und nicht nur von einigen?

Naja, und wenn wir jetzt wieder auf dieses ineinander verschachtelte Boxensystem der Kollektive und Identitäten blicken, und dann auf diesen unzähligen Ebenen Streit von "Wissenden" angezettelt wird, die die Schuld beim jeweils entgegengesetzten Kollektiv suchen und mit dem Finger auf andere zeigen anstatt auf sich selbst, dann ist das Chaos vorprogrammiert. Die ausgedachte Ordnung entpuppt sich als Treiber für das absolute Chaos, und jeder versucht, Leute in Schubladen zu stecken, um die Übersicht zu behalten, wodurch die Schubladisierten wütend werden und ebenfalls schubladisieren. Jeder ringt nach Übersicht und Einfachheit, übersieht aber, das Wesentliche. Nämlich dass diese Schubladen nur ausgedacht sind. Es sind Übersichtshilfen, Heuristiken, aber sie spiegeln nicht die Realität. Es gibt sie eigentlich nicht. Alles nur mentale Krücken.

Und ich stell mir dann immer gern - wie unten ma beschrieben - Aliens im UFO vor, die sich das von oben anschauen und sagen "Lol, die haben den Tribalismus ja immer noch nicht überwunden. Dabei steht doch alles in Büchern und im Internet."

Ich bin mir sicher, dass das der Grund für Politikverdrossenheit ist. Da wirken nämlich dieselben Mechaniken.

Verblüffend ist, wie mir diese Sicht selbst manchmal abhanden kommt. Aber jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, bin ich wieder ziemlich entspannt. Ich bin gerade das Alien im UFO.


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