Antwort auf den Beitrag "Re:Solenoid von Mircea Cartarescu" posten:
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>Der namenlose Erzähler, bereits im Studium seines Traumes beraubt ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden, fristet sein Dasein als Rumänischlehrer an einer Schule in einem Randbezirk Bukarests. (Textstellen zur besseren Übersicht als Spoiler) > >[h:[i:Man kann sich überhaupt nicht vorstellen, wie verblödend der Lehrerberuf ist, wie sehr man Jahr für Jahr verkommt, indem man Klausuren korrigiert und die Schüler abfragt, dutzende, ja hunderte Male die gleichen Sätze wiederholt, mit »Intonation« die immer gleichen Texte liest, mit den gleichen Kollegen spricht, in deren Augen man die gleiche Verzweiflung und Hilflosigkeit sieht, die sie in deinen Augen sehen (und die auch du selbst jeden Morgen sehen kannst, wenn du dich vor dem Spiegel rasierst). Du weißt, dass du verfällst, dass dein Kopf zu einer Ansammlung schier erbrochener bombastischer Zitate und Klischees wird, und du trotzdem nichts tun kannst, als ungehört zu schreien, wie einer, der in einem unterirdischen Verlies gefoltert wird und, allein mit seinem Folterknecht, mit wachem Verstand betrachtet, wie das Gewebe seines Körpers ihm abgeschnitten, wie er bei lebendigem Leib und ohne sich wehren zu können ausgenommen wird.]] > >Doch auch wenn ihm ein Leben als erfolgreicher und von der Kritik hofierter Schriftsteller verwehrt bleibt, schreibt er – nämlich dieses Buch, eine Art Manuskript, ein Tagebuch über seine Erlebnisse seit der frühesten Kindheit, seine Träume, sein Leben und über seine erfahrenen Anomalien. Unter anderem hervorgerufen durch einen [b:Solenoid] unter seinem Haus, dessen Zimmer sich ständig neu anordnen, der ihn schweben lässt. Und so sehr auch der Misserfolg der frühen Studienjahre an ihm nagt, so ist er doch der Überzeugung, dass das wahre Schreiben nicht das im Glanze des Rampenlichts ist. > >[h:[i:Ich habe alle Bücher gelesen, aber ich habe es nicht so weit gebracht, wenigstens einen einzigen Schriftsteller kennenzulernen. Ich habe alle Stimmen mit der Klarheit gehört, mit der sie ein Schizophrener hört, aber noch niemals hat man mit einer wahren Stimme zu mir gesprochen. Ich durchwanderte tausende Säle des Literaturmuseums, anfangs bezaubert von der Kunst, mit der auf jede Wand in trompe l'œil eine Tür gemalt war, und zwar mit einer äußerst minutiösen Genauigkeit der Beobachtung jedes Holzsplitters samt seines spitz zulaufenden Schattens, jeder Farbkruste, die Zerbrechlichkeit ebenso wie Transparenz suggerierte und einen diese Illusionskünstler in einer Weise bewundern ließ, wie man noch nichts auf der Welt bewundert hatte, aber zum Schluss hin, nach hunderten durchwanderten Flurkilometern mit falschen Türen, in einer Luft, die immer stärker nach Ölfarbe, Verdünnern und Abgestandenheit roch, entfernte sich dieses Durchwandern immer mehr von einem kontemplativen Spaziergang und verwandelte sich in Unruhe, dann in Panik und Nicht-mehr-atmen-Können. Jede Tür betrügt und enttäuscht dich, und dies umso mehr, als das Auge selbst getäuscht worden ist. Sie sind wunderbar gemalt, aber nicht zu öffnen. Die Literatur ist ein hermetisch verschlossenes Museum, ein Museum der illusorischen Türen, der um Abstufungen von Braun und eine möglichst expressive Nachahmung der Rahmen, Angeln und Klinken sowie des samtigen Schwarz im Schlüsselloch bemühten Künstler. Es reichte, dass man die Augen schloss und mit den Fingern die fortlaufende Wand abtastete, um zu verstehen, dass es nirgendwo im literarischen Gebäude eine Öffnung oder einen Riss gab.]] > >[h:[i:Wenn du zehntausend Bücher gelesen hast, wirst du nicht umhinkönnen, dich zu fragen: Wo war in all der Zeit mein Leben? Drunter und drüber hast du das Leben anderer verschlungen, stets mit einem gewissen Mangelgefühl angesichts der Welt, in der du existierst, so verblüffende künstlerische Kraftakte jene auch gewesen sein mochten. Du hast die Farben der anderen gesehen, hast die Schroffheit und die Süße und den Möglichkeitsraum und das Verzweifelnde anderer Geisteszustände gespürt, die in den Kernschatten der Planeten gerieten und deine eigenen Empfindungen mit verschatteten. Und wenn du doch wenigstens in den Berührungsraum anderer Menschen deinesgleichen vorgedrungen wärest, aber immer und immer wieder wurdest du allein zwischen den Fingern der Literatur um- und umgedreht. Immerzu wurde dir tausendstimmig ein Entkommen versprochen, wofür dir auch noch der Hauch jenes Wirklichkeitssinnes entwendet wurde, den du mal hattest.]] > >[h:[i:Als Schriftsteller wirst du mit jedem Buch, das du schreibst, weniger real. Stets möchtest du über dein Leben schreiben, und schreibst doch immer nur über Literatur. Es ist ein Fluch, eine Fata Morgana, eine Weise, die Tatsache zu verfälschen, dass du wirklich in einer wirklichen Welt lebst. Du vervielfältigst die Welten, wobei deine eigene Welt ausreichen würde, Milliarden Leben auszufüllen. Mit jeder Seite, die du schreibst, wächst der Druck des gewaltigen literarischen Gebäudes über dir, zwingt deiner Hand Bewegungen auf, die du nicht vollziehen möchtest, engt dich ein auf die Dimension des Blattes, wo du doch das Papier durchstoßen und seine Oberfläche senkrecht beschreiben wolltest - /.../ Wie willst du aus deinem eigenen Schädel entkommen, indem du auf die glatte, gelbliche Innenfläche deines Stirnknochens eine Tür malst? Deine Verzweiflung ist die eines Menschen, der nur in zwei Dimensionen lebt und sich in ein Viereck inmitten eines unendlichen Blattes eingeschlossen sieht. Wie könnte er diesem schrecklichen Gefängnis entkommen? Auch wenn er eine Seite dieses Vierecks überwinden würde, das Blatt Papier ist endlos, aber er kann nicht einmal diese erste Kante überwinden, denn ein zweidimensionales Denken kann sich eine Erhebung, die senkrecht zur planen Welt und über die Gefängnismauern hinweg verläuft, nicht vorstellen.]] > >Und so schreibt der namenlose Erzähler vor dem Hintergrund des durch Mangel geprägten Lebens im Rumänien des Jahres 1984, seitenlang von seinen Träumen, von Gestalten die des Nachts an seinem Bett erscheinen, vom Horror seiner Kindheit, von seinem Aufenthalt in einer Tuberkuloseklinik, von gar absonderlichen Dingen und immer wieder auch vom Horror der eigenen (Nicht-)Existenz. > >[h:[i:Monster, Monster, wie kein Geist sie je sich ausdenken kann, auch nicht beherbergen oder auch nur fassen, wie Spinnen, die an ihren funkenden Fäden hängen, hingen sie an unseren ererbten Reflexen, an der Blässe unserer Haut, am Zähneklappern und den aus den Höhlen tretenden Augen. An der Kontraktion der Schließmuskel, am gefrierenden Schweiß, der über unsere kadaverischen Körper rann. Die Angst, der Schrecken, die Versteinerung, der Terror, die Faszination, der Horror, der Schrei, der Irrsinn. Die Qual jenseits all dessen, was sich unser Hirn als die Hölle umhüllend ausmalen kann. Nicht die Hauer, nicht die Klauen, nicht das Zerfetztwerden, nicht die Durchtrennung der Nabelschnur bei der Geburt, nicht die Zerstückelung bei lebendigem Leib durch den Krebs, nicht das Eingegrabenwerden in einen tropischen Ameisenbau, nicht das Vor-das-Kanonenrohr-gebunden-Werden, nicht das Ausstechen der Augen und das Herausreißen der Zunge in einer barbarischen Besinnungslosigkeit, nicht das Gedrängel der roten und schwarzen Teufel, selber schon schwärend im Entsetzen der teuflischen Freuden, um die weißhäutigen, traurigen und reinen Körper mit Jungfrauenbrüsten und immer noch tadellos geflochtenen Zöpfen, oder die mit olive schimmernder Haut, breiten Schultern und Bärten, die erst kürzlich unter der Schere hervorgekommen waren, nun aber bis über die Hüften in der Lava steckten. Sondern absolute Monster, psychische Monster, Formen, dazu geschaffen, auf ewig im ewigen Leben des Geistes zu quälen und zu peinigen, wie das Bedauern, die Gewissensbisse, Peinlichkeit, Ehrlosigkeit, wie die Erinnerung an Geschehnisse, die sich niemals hätten ereignen dürfen und sich einem mit glühendem Eisen ins Gedächtnis einbrennen. Wie das Entsetzen jenseits des Entsetzens, das große Entsetzen, die Mutter all unserer Ängste: jene vor der Ewigkeit, in der es einen nicht mehr gibt.]] > >[…] > >[h:[i: Warum weiß ich, dass es mich gibt, wenn ich ebenso weiß, dass ich nicht mehr sein werde? Warum erhielt ich Zugang zum logischen Raum und der mathematischen Struktur der Welt? Nur um sie zu verlieren, wenn mein Körper sich zerstört? Warum wache ich nachts mit dem Gedanken auf, dass ich sterben werde, setze mich dann schweißgebadet auf und schreie und schlage um mich, und versuche, den nicht hinnehmbaren Gedanken zu unterdrücken, dass ich für alle Ewigkeit verschwinden werde und es mich niemals wieder geben wird bis zum Ende aller Zeiten? Warum wird die Welt mit mir zu Ende gehen? Wir altern, warten ruhig ab in der Folge der zum Tode Verurteilten. Einer nach dem anderen werden wir im finsterstmöglichen Konzentrationslager hingerichtet. Zuerst werden wir der Schönheit, der Jugend und der Hoffnung entkleidet. Dann werden wir in die Sträflingskluft der Krankheiten, der Erschöpfung und der Fäulnis gesteckt. Unsere Großeltern sterben, vor unseren Augen werden unsere Eltern hingerichtet, und plötzlich verkürzt sich die Zeit, und du hast das Sensenblatt vor Augen. Dann erst begreifst du, dass du in einem Schlachthaus lebst, dass Generationen dahingemetzelt und von der Erde verschlungen werden, dass Milliarden Menschen vorangetrieben werden in den Höllenschlund, dass niemand, absolut niemand davonkommt. Dass von den Menschen, die du in den Filmen von Méliès aus einem Fabriktor kommen siehst, kein einziger mehr lebt. Dass absolut alle, die du auf einer Sepia-Fotografie von vor achtzig Jahren sehen kannst, tot sind. Dass wir alle aus einem furchterregenden, gedächtnislosen Abgrund auf die Welt kommen, dass wir auf einem Staubfädchen in der endlosen Welt furchtbares Leid zu erdulden haben und danach in einer Nanosekunde verrecken, als hätten wir niemals gelebt und wären nicht gewesen.]] > >Nichts was man unbedingt in düsterer Stimmung lesen sollte... > >[b:Solenoid] gehört gewiss mit zu den außergewöhnlichsten Büchern die ich gelesen habe. Die 900 Seiten geben dem rumänischen Autor Mircea Cartarescu dabei genügend Raum für seine Sprache - faszinierend immer wieder seine Beschreibungen wie etwa das Nutzen des Körpers als Blatt Papier den er von Außen als auch Innen bis zum letzten Schädelknochen tätowiert – und seine Geschichte, wie etwa Ausflüge zu Boole, Charles Hinton und den Versuch die Wahrnehmung der vierten Dimension zu erklären. Das ist stellenweise nicht immer leicht zu lesen und bestimmt kein Buch für jedermann. Wer sich aber darauf einlässt – und zwischendurch auch etwas durchkämpft – bekommt etwas was er in der Art wahrscheinlich noch nicht gelesen hat. > >Es gibt übrigens eine sehr lange Leseprobe, die etwa 80-100 Seiten umfasst. Das dürfte zumindest reichen sich ein Bild zu machen. > >Buch: [https://www.amazon.de/Solenoid-Roman-Mircea-Cartarescu-ebook/dp/B07RLXZWBP/?tag=maniacforum-21]
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