Thema:
Durchgespielt - Wow. Einfach nur Wow! flat
Autor: token
Datum:08.02.20 13:11
Antwort auf:Outer Wilds Leute - das beste Sci-Fi-Spiel seit Ewig... von Random_H

Bis zum Finale war ich in vielerlei Hinsicht durchaus entzückt, hielt GotY-Kategorisierungen jedoch für etwas overjazzed. So eine Art guter Wille den man Outer Wilds für seine mutige und erfrischende spielerische Ausrichtung gönnt und mit der man die durchaus zahlreich vorhandenen magischen Momente anerkennt.
Doch als die Credits liefen...

Wir kommen schon früh zu meiner persönlichen Krux mit diesem Posting. Wie kann ich dieses Spiel für all die Dinge die es mit mir angestellt hat feiern, ohne all diese Dinge für Spieler die es noch nicht kennen zu untergraben?
Ich weiß es nicht.
Und, wie bekomme ich es hin über dieses Spiel zu schreiben, und kriege die Menge an Gedanken gebändigt und auf einen kompakten Kern runtergebrochen?
Gestern Nacht bummelte die Freundin rein und ich hatte das Game da gerade abgeschlossen und war so geflashed und in Gedanken und Emotionen gefangen dass ich ihr auch gesagt hab, ich müsse das Erlebte mal gerade für mich ein wenig sacken lassen. Hab dann aber doch noch probiert ihr davon zu erzählen, maßgeblich von der Story als solchen und meinem Abenteuer. Und das ist vom Umfang so eskaliert, ich hab gemerkt, ich krieg die Story in 5 Minuten zusammen gefasst, aber auch, dass es die eigene Dramaturgie war welche diese auf so ein hohes Level heben konnte. Und da bekam sie nach 15 Minuten schon glasige Augen und ich dachte, ich muss mal abschließen, merkte aber auch, hinsichtlich des Erlebten hab ich noch gar nicht richtig angefangen.

Aber worum geht‘s?
Ich flüchte mich mal ins Abstrakte.
Ich hab schon sehr oft darüber nachgedacht ob es im Medium Videospiel möglich ist, dass ein Gamer etwas ähnliches Erleben könnte wie Helden in Filmen oder Büchern. Nehmen wir etwa einen Cop der Infos sammelt und dann kommt dieser Moment wo ein Gedankenblitz die Fragmente seiner Infos zu einer Schlussfolgerung zusammenfügt. Das Problem, diese Helden haben eine vom Autor konstruierte Dramaturgie. Bin ich jedoch selbst der Held und kann tun was ich will, ist es für einen spielerischen Rahmen schlicht und ergreifend nicht möglich so etwas zu erreichen. Hab ich gedacht. Weil Spieler wichtige Informationen übersehen. Oder sie nicht übersehen, aber nicht den Geistesblitz haben diese Fragmente richtig zu interpretieren. Und weil sie, wenn sie frei sind und tun können was sie möchten, durch ihr chaotisches Verhalten einen notwendigen dramaturgischen und schlüssigen Aufbau untergraben.

Nein, das kann nicht gehen. Was geht sind freie Spielmechaniken um solche Dynamiken zu heben. Etwa eine gute AI in einem Shooter, man denke an die einzigartigen Feuergefechte in FEAR die ihre eigenen kleinen Geschichten schrieben. Oder seltene Zufälle wo einiges zusammenkommt, etwa das packende Rennen wo man auf dem letzten Meter aus dem Windschatten bricht und per Fotofinish triumphiert. Das sind die Momente wo in deinem Wohnzimmer etwas anderes passiert als bei anderen Leuten die dieses Spiel spielen, Momente in denen du für eine Sekunde Tom Cruise in Tage des Donners bist.

Aber Games wollen ja genau das bei dir erreichen. Also machen sie dir etwas vor. Sie installieren Gummibänder in Rennspielen um diese Momente und die Spannung zu forcieren. Oder sie Spulen Skripte ab. Sie stecken dich in eng gefasste Interaktionstunnel und mühen sich darum dass du die Wände in diesem und das ganze inszenierte Theater nicht bemerkst. Und sie erzählen eine lineare Geschichte.

Und jetzt kommt Outer Wilds. Non Lineares Storytelling. Man schaue wie BotW das gelöst hat. Einfach autonome Äste und quasi eine Kackegal-Geschichte. Das war der Preis für die Freiheit des Spielers.

Outer Wilds hat da so unendlich mehr Dichte. Informationsfragmente die man non linear und den eigenen Intuitionen folgend sammelt setzen ein Puzzle zusammen. Wie diese Quizshows die Puzzlestücke eines Fotos einblenden und sukzessive aufgebaut werden bis man anfängt etwas zu erkennen. So ähnlich wird hier die Geschichte erzählt. Und wow, ist das gut. Du bist ja auch Teil des ganzen Setups, siehst alles was du ergründest, bist selbst Teil davon, und verstehst erstmal nichts. Und am Ende bleiben keine Fragen offen und du hast auch einige erzählerische mindblows. Rätsel im Spiel sind auch informationsgetrieben. Du betrachtest etwas, und verstehst nicht was du siehst, bekommst Infos, und kannst da etwas tun von dem du es nicht erwartet hättest. Du bist Abenteurer, Entdecker, Archäologe und Detektiv, und diese Rollen fühlen sich _echt_ an. Das bist du und nicht ein Skript das du nachspielst. Und das ist sicher nicht trivial gewesen, bei paar Sachen verstehe ich wie Outer Wilds das schafft, etwa dass es eine Schlüsselinfo redundant in die Welt steckt und so mehrfach Richtung Spieler feuert um sich gegen „übersehen“ oder „verpeilen“ auf Seiten des Spielers abzusichern. Bei paar Dingen bin ich auch erstaunt wie gut das aufgeht, etwa wie sich ob bestimmter Infos Verdachtsmomente aufbauen und dann in etwas anderes twisten und man denkt, UFF! GEIL! ACH SO!

Was dieses Spiel in besonderen Momenten mit mir angestellt hat. Wie es mich zum Staunen gebracht hat. Wie es mich teils emotional berührt hat. Wie es mich punktuell flashen konnte. Mit Stolz erfüllt hat weil ich etwas raus fand, obwohl ich anfangs nicht sicher war dass das zu was führt.
Und vor allem, wie es sich mit einem gelungenen Abschluss in ein rundes Gesamtwerk fügt.
Bis zwei drei Stunden vor dem Abspann hab ich über dieses Spiel gedacht:



Nach dem Abspann war es dann eher:



War Outer Wilds perfekt?
Nope, phasenweise fand ich es auch mühsam und ab und an hat es mich genervt und etwas gefrustet und angestrengt.
Aber oh boy, wie es sich hier lohnt mit einem Vertrauensvorschuss dran zu bleiben, und wie das alles vergeben und vergessen ist und einer gesamtheitlichen Erlebniseuphorie weicht nach dem sich alles zusammen gefügt hat.
Es zählt für mich auf jeden Fall unterm Strich zu den eindrucksvollsten Erfahrungen im Medium „überhaupt“, ist eine Schatzkiste für Gamedesign welches die Freiheit des Spielers respektiert, ist ein Kreativträumchen für eine fantastisch angehauchte Märchengeschichte mit teils strunztrockenen Sciencemotiven welche es unglaublich pfiffig einbettet. Und es hält wohl definitiv meinen persönlichen Zeitrekord für einen anhaltenden Gänsehautmoment, minutenlang standen mir die Haare zu Berge.

Spielt. Dieses. Spiel!


< antworten >