Thema:
Und platiniert flat
Autor: token
Datum:22.11.23 09:35
Antwort auf:Alan Wake II (PS5, XBox Series, PC) von Hunk

Etwas über 30 Stunden hat es bis zum Abspann gedauert, ich hab mir aber auch Zeit gelassen, die Sets immer wieder abgegrast und Goodies gesucht, teils auch recht lang an kleinen optionalen Knoblern gehangen etc.
Mit mehr Fokus ist die Spielzeit auf dem roten Faden dann denk ich eher bei 20, so oder so hat man es hier aber mit einem gut ambitionierten Umfang zu tun, wo man natürlich nicht durchgehend auf Spannung ist und manches kleine Tal durchschreitet, das Spiel sich ob des gebotenen aber dennoch sehr gut über die gesamte Spielzeit tragen kann imo.

Alan Wake 2 ist ein Spiel wie es heutzutage eigentlich nicht mehr gemacht wird, erinnert mich strukturell am ehesten an die klassischen Silent Hills.
Das Spiel ist darüber hinaus auch ordentlich durchgeknallt, allerdings nicht in morbidem Sinne sondern wie es so WTF-Mysteries streut. Was ich krass fand, die Geschichte macht echt Sachen die so drüber sind dass ich niemals nicht damit gerechnet hätte dass solche Aspekte inhaltlich sinnig aufgelöst werden.

Und ich war baff wie die finalen Stunden storymäßig nochmal abliefern, und wie ein guter Krimi alles sortieren. Da hatte ich nicht mit viel gerechnet bei all dem Irrsinn, tatsächlich fügt man da mehr zusammen als ich jemals erwartet hätte und zündet einige kleine Reveals wo ich wirklich "wow, Hut ab" gedacht habe.

Ich glaube was ich an Alan Wake 2 so bemerkenswert finde ist dass es einfach ein Gesamtkunstwerk ist. Nichts steht irgendwie isoliert da. Alles ist wirklich clever miteinander verwoben. Ein gutes Beispiel, ich denke das ist kein Spoiler so schnell wie es eingeführt wird, ist der Gedankenpalast. Als Held kann man sich in seinen Gedankenpalast begeben, dieser ist zum einen ein Metamenü wo man gewisse Collectibles wie Radio- oder TV-Beiträge abspielen kann, man hat aber bspw. auch so eine klassische Falltafel wo Hinweise sortiert und miteinander verbunden werden.

Diese Falltafel ist ein überaus geschickt versteckter Recap für den Spieler, weil hier die zentralen Handlungselemente indirekt fokussiert und geordnet werden. So konnte ich, zu meinem eigenen Erstaunen weil ich sehr vieles an informativem Geschreibsel im Spiel nur grob überflogen habe, der Handlung in ihren Kernpunkten tatsächlich gut folgen, so dass die ganzen Plotpoints nicht wie so häufig bei Videospielen unbemerkt an mir vorbei flogen sondern sehr gut gezündet haben. Obwohl ich über weite Phasen das Gefühl hatte dass ich im Grunde gar nicht wirklich verstehe was da überhaupt los ist :D
Aber die Mechanik befeuert auch punktuell wie man im Spiel Progress macht und zu guter letzt ist sie obendrein auch noch etwas was im erzählerischen Konstrukt reflektiert wird. Alles greift ineinander, Story, Mechanik, Metamechanik und dahinter stehende Designkniffe bilden ein großes durchdachtes Uhrwerk auf das scheinbar alle Erfahrungen die Remedy bislang als Entwickler gemacht hat, einzahlen.  

Und das ist nur ein Aspekt für dieses gesamtheitliche Ineinandergreifen von einzelnen Komponenten im Metakonstrukt Videospiel. Und an vielen dieser Fronten fährt man auch noch wohlgemerkt Kreativleistungen auf die ich in Sachen Mut, Verspieltheit aber auch Finesse lange nicht mehr gesehen habe.

Allein wie hier etwa diese Mischung aus Realfilm und Videospiel verwoben und inszeniert wird, hat man in diesem Medium in so einer Güte meiner Meinung nach noch nie gesehen. In Quantum Break war das noch so ein Nebeneinander, hier passt alles zusammen und wird auch noch in verschwenderischem Maße mit Ideen versehen...diese Übung hat man in diesem Medium noch nicht mal annähernd auf so einem Level gesehen, das ist wie Pink Floyd vs. Musikantenstadl.

Alan Wake 2 ist in meinen Augen jedenfalls weit mehr als just another videogame, weit mehr als einfach nur damit im Jahr 2023 mit dem Design-Ansatz der alten Action-Adventure-Schule auf die Nostalgiekarte zu setzen.
Ich sehe es persönlich als eine Art Masterpiece von Remedy wo sie ihre ganze Videospielhistorie hergenommen haben und aus allem was sie bislang gemacht haben, vor allem auch alles was sie bislang an Fehler gemacht haben, hergenommen haben um aus den lessons learned eine Art fast perfekten Wurf für ihre eigene Art Videospiele zu machen abgeliefert haben.

Und natürlich ist das nicht frei von Flaws, nicht frei von Angriffsfläche, nicht so dass man sagen kann, das ist soooo gut, das muss eigentlich jedem gefallen. Es ist tatsächlich eher sperrig, hat Designentscheidungen die einem auch zu Recht nicht gefallen dürfen. Aber genau das macht es ja unter anderem ebenfalls so interessant und besonders, dass du das hier nicht nach einer Strichliste bewerten kannst, weil es eben ein Gesamtkunstwerk mit viel mehr Tiefe und Kreativität darstellt als es auf den ersten Blick scheint.

Und da haben wir diverse Stärken, etwa den production value oder die betörende Atmosphäre, das brillante Sounddesign, den genialen Soundtrack der ebenfalls nicht nur random untermalt sondern auch ein Teil der Erzählung wie auch deren Inszenierung stützt, nicht mal angesprochen.

tl;dr:
Alan Wake 2 ist imo nicht das beste, aber das bemerkenswerteste Spiel das 2023 erschienen ist. Applaus.


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