Thema:
Re:Ach Du Schande... flat
Autor: Andy1977
Datum:18.06.15 19:40
Antwort auf:Re:Ach Du Schande... von dixip

>Und während FF7 und Shenmue zu ihrer Zeit bahnbrechend waren, waren die Team Ico Spiele ja doch eher Kritikerlieblinge (und selbst das nicht durchgehend).

Sorry, aber gegen den Satz MUSS ich mich mit allem widersetzen, was mir lieb ist.

Ja, FF7 war bahnbrechend - aufgrund des Techniksprungs, eines der gewagtesten Storytwists der Spielgeschichte (...ich sag Aerith...) und der Etablierung eines Genres, dass vormals mehr von Vollblutnerds gespielt wurde, und danach plötzlich Massenmarkt tauglich war. Speziell für Europa und Amerika war das Ding ein Segen, weil wir vermutlich FF7 unzählige Übersetzungen ins Englische zu Verdanken haben, die wir sonst nie gekriegt hätten.

Auch richtig, Shenmue hat technisch und in Punkto Spielregie satt reingehauen. So etwas hatte man von vorher noch nicht gespielt, weder in Sachen Detailreichtum noch Art Direction. Aber vor allem die Konzeptmischung, die Open World Wahn mit Casual-Minispielen vereinte, hinterließ enorm viele Spuren, die man in vielen, völlig unterschiedlichen Titeln wiederfinden kann.


Und jetzt komme ich zu Shadow of the Colossus, das (ich übertreibe jetzt mal bewusst ;) mit beiden den Boden aufwischt. Ich habe mich früher vehement dagegen gewehrt, Spiele als "Kunst" zu bezeichnen - speziell wenn sie einfach nur "hübsch" waren. Ein Spiel als "Kunst" zu bezeichnen sollte allein aufgrund des Spiels zustande kommen. Oder anders ausgedrückt: Der Kunstaspekt muss klar und deutlich dadurch zustande kommen, WEIL man es spielt und nicht nur hübsche Hintergrundbildchen betrachtet.

Shadow of the Colossus hat das geschafft. Es ist in so vielen Aspekten so unfassbar gut durchdacht und gleichzeitig enorm mutig, egal ob Ansatz oder Ausführung. Allein der Storytwist gegen Ende kippt nachträglich das gesamte Gefühl, dass man während des Spielens hatte, völlig auf den Kopf. Das Spieldesign und die Spielwelt gehen eine einzigartige Symbiose ein - d.h. letztere ist nicht nur einfach riesig oder verwinkelt oder komplex oder detailliert. Nein: Die weiten, leeren Steppen und die riesigen Kolosse sind sowohl grafisch beeindruckend als auch spielerisch in dieser Form essentiell notwendig, damit das Konzept funktioniert. Darüber hinaus braucht es keine Missionsbeschreibungen, Questtexte oder irgend ein Quatsch. Alles funktioniert wie selbstverständlich und verlangt gleichwohl vom Spieler komplexeres ab als die meisten modernen Triple-A-Titel mit ihren elendig lang gezogenen Tutorials.

Anstatt mich mit unzähligen, kaum voneinander zu unterscheidenden Waffen zu nerven (so wie es nahezu jedes moderne Actionspiel tut), konzentriert sich Colossus auf ein Schwert und einen Bogen. Trotzdem musst du sie im Laufe des Spieles bzw. bis zum Schluss zusammen mit deinen Kletter- und Reitfähigkeiten auf immer neue Weise einsetzen. DAS ist Spieldesignkunst.

Ja, selbst die für viele als problematisch angesehene Kameraführung ist in meinen Augen so gewollt - weil sie nämlich immer nur dann zum Einsatz kommt, wenn es hektisch werden und der Spieler (äquivalent zu seiner Spielfigur) in Panik geraten SOLL. Die Lösung ist super-simpel: Ruhe bewahren. Den Knopf zum Festhalten fest drücken, abwarten bis der Koloss (und die Kamera) sich beruhigt haben, die Kamera behutsam neu zentrieren und weiter machen. Als ich DAS kapiert hab, hatte ich NICHT EINMAL mehr ein Problem mit der Kameraführung.

D.h. natürlich war es mehr ein Kritikerliebling als ein Publikumsmagnet. Aber ich habe genügend Freunde, die bei weitem nicht so freakig sind wie ich, und die Shadow of the Colossus LIEBEN oder gar als ihr All Time Favorite bezeichnen - darunter übrigens auffallend viele Frauen. Denn das ist der nächste Punkte: Das Spiel hat eine Seele. Durch diese einmalige Symbiose aus Spieldesign, Spielwelt und Story (die eigentlich nur zaghaft und stückchenweise erzählt wird und trotzdem viel mehr vermittelt als 90% aller Ego-Shooter zusammen) ist Shadow of the Colossus etwas ganz besonderes und in jedem Fall etwas bahnbrechendes gewesen.


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